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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das fremde Kind
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Klassenzimmer, in dem es nach Kreide und feuchten Wollsocken riecht.
Es herrscht eine Stille, die wie elektrisiert ist. Die Schüler beben erwartungsvoll
angesichts des bevorstehenden Schauspiels, unersättlich, was die Erniedrigung anderer
Mitschüler betrifft. Donald Göranssons Blick ist wie aus Stahl. Sein höhnisches
Grinsen sprüht geradezu vor Bosheit, als die dicke, unförmige, dumme Gunnel kreideweiß
im Gesicht wird und alle nur auf den Augenblick warten, in dem sie aus purer Angst
die Spaghetti mit Hacksoße auf ihr Rechenheft erbricht. Acht mal sieben,
Gunnel! Das kann doch nicht so schwer sein!
    «Nein, ich weiß nicht ...», sagt Konrad.
«Ich konnte nicht so gut mit ihm.»
    «Nicht? »
    «Ja, ehrlich gesagt fand ich, dass
er ein verdammter Faschist war.»
    «Fandest du ...?»
    Jetzt ist sie es, die erstaunt dreinblickt.
Sie starren einander an, als kämen sie von unterschiedlichen Planeten. Sie fingert
unsicher an dem Goldkettchen, das um ihren Hals hängt, dann an dem kleinen Herz,
das sich in der Drachenspalte versteckt hat. Konrad stellt fest, dass sie einen
Ehering am Finger trägt.
    «Okay», sagt er schließlich. «Ich muss
weiter. War nett, dich zu sehen.»
    «Fand ich auch», entgegnet sie in neutralem
Ton.
    Er steht mit seinem Plastikbeutel mit
Bier, Brot und Käse schon vor den automatischen Schiebetüren, als ihm plötzlich
ein Gedanke kommt. Er dreht sich noch einmal um.
    «Du, Gunnel, darf ich dich etwas fragen?»
    «Ja?»
    «Mit wem bist du eigentlich ... verheiratet?»
    Er deutet mit einer Geste auf seinen
eigenen nackten Ringfinger.
    «Warum willst du das wissen?»
    «Bin halt neugierig», lacht er unschuldig.
    «Mit Benny», antwortet sie. «Er ...
ich bin direkt nach der Neunten schwanger geworden.»
    Konrad schluckt ein weiteres «Oh, verdammt!»
herunter und nickt lediglich stumm. Beton-Benny und Gunnel.
    «Sie ist inzwischen schon erwachsen.
Unsere Tochter, meine ich. Aber wir haben auch noch einen Jungen. Patrik, er spielt
in der Mannschaft der Vierzehnjährigen. Benny ist dort Trainer, das ist natürlich
... toll.»
    Sie verstummt und wirkt etwas verlegen,
als hätte ihr jemand vorgeworfen, sie würde zu viel reden.
    «Und du selber?», fragt sie dann. «Hast
du Kinder?»
    «Maria. Sie ist inzwischen zwanzig.»
    Eine Frau mit übervollem Einkaufswagen
versucht, Gunnels Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie sieht genervt aus. Das
Laufband vor der Kasse biegt sich förmlich unter Milchpackungen, Erfrischungsgetränken,
tiefgefrorenen Pizzen und Vorteilspackungen mit Hackfleisch.
    «Ich will dich nicht länger aufhalten»,
sagt Konrad schnell. «Wir sehen uns!»
    Gunnel lacht auf, kurz und unsicher,
bevor sie wieder in Sonderangeboten versinkt.
     
    K onrad verlässt
den Supermarkt mit einem merkwürdigen Gefühl in der Magengegend. Es kommt ihm vor,
als würde man ihn überwachen. Einbildung, versucht er es abzutun, jedoch ohne sich
selbst zu überzeugen. Er sieht ja, dass die Menschen, denen er begegnet, genau in
dem Moment ihren Blick abwenden, in dem er merkt, dass sie ihn anstarren.
    Seit er zurückgekommen ist, sieht er
in fremde Gesichter, die ihm lediglich, wenn überhaupt, einen gleichgültigen Blick
zuwerfen. Doch dann fällt ihm an ihnen etwas auf. Ein kurzes Aufflackern. Die erschöpfte
Frau, die Lebensmitteltüten und schreiende Kinder über den Parkplatz schleppt.
Der Bauer im grünen, nach Diesel stinkenden John-Deere-Overall. Der keuchende, dickbäuchige
Mann in Cordanzug und Krawatte, dem er vor der Bank begegnet ist. Unter den Falten
und Tränensäcken in ihren Gesichtern, hinter aller Sorge und Verzweiflung, hinter
wässrigen Augen und Spuren von unzähligen Abenden mit billigem Rotwein, Chips und
Werbefernsehen entdeckt er noch etwas anderes: ein Kind, einen Teenager, der irgendwann
einmal eine Sehnsucht verspürt hat.
    Jemand, den er möglicherweise kannte.
    Auf der Straße vor dem Konsum sind
nicht besonders viele Leute, doch die Stille verstärkt den Eindruck, dass es sich
nur um eine Kulisse handelt. Konrad ist nahezu sicher, dass sie nur so tun, als
würden sie ihn nicht kennen.
    Irgendetwas stimmt auch mit den Farben
nicht. Die Sonne steht im Zenit an einem unfassbar blauen Himmel, aber als Konrad
sich umschaut, hat er den Eindruck, dass alles verblichen ist wie auf einer alten
Postkarte.
    Obwohl er weiß, dass all das nur Einbildung
ist, kann er den Verdacht nicht abschütteln: Wenn letztlich alles nur ein Film oder
eine Theatervorstellung wäre, in der

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