Laennaeus, Olle
Raubvögel. Bussarde und Milane, und wenn man Glück
hatte, konnte man auch Königsadler sehen.»
«Sven?»
«Ein alter Freund. Von damals ...»
Er blickt über das Tal, das von geheimnisvollen Wäldern eingerahmt wird und sich
von Norden nach Süden erstreckt, so weit das Auge reicht. Svens und seine eigene
frühere Wildnis. In ihren Spielen war der schwarze Fluss, der jetzt so friedlich
dahinfließt, ein gefährliches Gewässer, das von wilden Räubern beherrscht war. Im
tiefen Buchenwald gab es blutrünstige Indianer, und in den unbewohnten, verfallenen
Häusern wohnten Drachen und Monster.
«Die Leute denken, dass Sie die beiden
Alten erschossen haben, oder?»
Das Mädchen schaut ihn forschend an,
abschätzend, als versuche sie, die Dinge in ihrem Kopf zu ordnen.
«Ich hab darüber in der Zeitung gelesen.
Die Polizei hat Sie als Mörder verdächtigt, oder?»
«Ja, so war es. Aber inzwischen ...»
«Inzwischen glauben sie, dass es mein
Bruder war.»
Sie starrt ihn trotzig an, wie ein
kleines Kind. Doch Konrad weiß, dass sie älter ist.
«Dein Bruder?»
«Aber es stimmt nicht. Sie schieben
es ihm nur deswegen in die Schuhe, weil er Ausländer ist. Ich weiß, dass Feriz es
nicht getan hat.»
«Warte mal...»
Konrad ergreift instinktiv ihren dünnen
Arm, aber sie reißt sich wütend los. «Tut mir leid ...»
Er setzt sich auf die heiße Motorhaube,
und mit einem Mal blickt sie weniger feindlich drein.
«Ist schon okay. Ich bin nur so verdammt
wütend.»
Ein Anflug von Trauer zieht über ihr
Gesicht, sodass ihre blasse Haut nahezu durchsichtig wird. Plötzlich sieht sie müde
aus. Konrad begreift, dass sie etwas Wichtiges zu erzählen hat.
«Kannst du nicht ganz von vorn anfangen?»
Sie schnieft und klettert dann ebenfalls
auf die Motorhaube, sodass beide wie auf einer Bank mit der Windschutzscheibe
als Rückenlehne sitzen.
«Ich heiß Fatima», sagt sie. «Und es
war mein Bruder Feriz, den dieser Rassist erschossen hat. Feriz und seinen Freund
Sali.»
«Ich verstehe. Es muss schrecklich
sein ...»
Sie hebt abwehrend die Hand, als wolle
sie nicht unterbrochen werden.
«Feriz, er hat ... Sachen getan, die
nicht gerade okay waren. Ich hab gehört, dass die Leute ihn Gangster schimpften.
Vielleicht war er auch einer. Er hat so einige krumme Dinger gedreht. Aber er war
mein Bruder. Ich hab ihn besser gekannt als jeder andere. Und ich weiß, dass er
in seinem Inneren ein guter Mensch war. Er würde niemals jemanden ermorden.»
Konrad blickt sie aus dem Augenwinkel
heraus an und sieht, wie sich ihr Brustkorb unter der Bluse schwer hebt und senkt.
«Du solltest vielleicht mit der Polizei
sprechen.» Sie schnaubt verächtlich.
«Glauben Sie nicht, ich hätte es längst
versucht? Sie scheißen darauf, was eine wie ich sagt. Ausländer schützen einander,
so ist es doch, oder? Zuerst kamen 'n paar Bullen in unsere Wohnung und haben alles
durchwühlt. Sie haben ein paar Fragen zu Feriz gestellt und mich angeglotzt, als
war ich 'ne verdammte Hure. Und als ich versucht hab, dort anzurufen, wollten sie
mich nicht mal zu den Polizisten weiterverbinden, die die Mordermittlungen leiten.»
Das Motorengeräusch eines Autos, das
sich auf der Schotterstraße nähert, lässt sie verstummen. Es ist ein verstaubter
Jeep. Er bremst etwas ab. Hinter der verschmutzten Wndschutzscheibe können sie
die Konturen des Fahrers erahnen. Vielleicht ist es der Förster, der wissen will,
was für Gestalten da auf der Motorhaube des Opels sitzen. Dann scheint er zu dem
Schluss zu kommen, dass es sich nur um die üblichen Vogelbeobachter handelt. Der
Jeep nimmt wieder Fahrt auf und verschwindet hinter der Kurve.
«Es gibt schlechte und gute Polizisten.
Du hast wahrscheinlich einfach Pech gehabt», sagt Konrad.
Sie zuckt mit den Achseln.
«Sie hätten doch begreifen müssen,
dass es unmöglich ist.»
«Das musst du mir erklären.»
Fatima wendet sich heftig zu ihm um,
wie von neuer Kraft erfüllt. Ihr Atem riecht nach Rauch.
«Es ging doch um die Pistole, die sie
im Brunnen gefunden haben, oder? Die Polizei ist sicher, dass Feriz und Sali sie
bei sich hatten und verloren haben, als sie erschossen wurden.»
Konrad nickt langsam.
«Ja, und der technischen Analyse zufolge
war es dieselbe Pistole, mit der Herman und Signe erschossen wurden. Also zieht
die Polizei den Schluss, dass es dein Bruder war ...»
«Aber sie irren sich, hab ich doch
gesagt!»
«Wie kannst du das denn wissen?»
«Weil ich gehört hab, wie Feriz
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