Laessliche Todsuenden
»Blut«, »Ohr« und »Krankenhaus« zischt sie noch, wie sie sich es vorgenommen hat, danach quellen Drohungen und Beschimpfungen schon ungeordnet, asoziales Benehmen, gigantische Schweinerei, Taschengeld gestrichen, über den Segelkurs noch reden, während Joshi, dieses Aas, gellend schreit. Ihre Erinnerung bewahrt den frozen moment einer geifernden Hexe, die sich in ein verwundetes wildes Tier verkrallt hat. Sie malt Joshi dabei rot und Ilka grün, wie in einem Comic. Übrigens schreit Joshi nicht, weil sie ihm wehtut, sondern weil sie seine Grenze überschritten hat. Auf Isoldes Rat hin hat sie es früher, als er noch kleiner war, mit ganz festen Umarmungen versucht, um ihm zu zeigen, dass sie ihn trotz seines Tobens liebt. Da hat er immer genauso geschrien.
Nun stellt sie ihn wie eine Puppe in die Küchentür und gibt ihm mit beiden Händen einen Stoß in den Rücken, der viel zu heftig ausfällt, viel heftiger, als sie je wollte. Sie erschrickt und streckt die Arme nach dem Kind aus, dessen Atem zischend entweicht, das hinfällt, sich aber sogleich aufrichtet und mit langen Sprüngen davonrennt. Kann nicht so schlimm gewesen sein, denkt Ilka und brüllt ihm erleichtert nach, sie wolle ihn bis morgen früh nicht mehr sehen, Abendessen gestrichen. Da bleibt er stehen, was ungewöhnlich ist, weil es Kontrolle erfordert, er dreht sich kurz um und sagt mit einem furchtbaren Blick: »Ich komm eh nicht zurück.«
»Und wonach steht dir als nächstes der Sinn?«, spottet Ihre Satirische Natur, während Ilka den Weg Richtung Siedlung geht, die Türbeschläge und Schlüssel in einem kleinen Beutel am ausgestreckten Arm schwenkend wie ein verliebtes Schäfermädel seinen Weidenkorb. Aber Ilka ist mit sich im Reinen. Sie hat nichts unternommen, wofür sie sich misstrauen müsste, sie hat nicht einmal in den Spiegel geschaut. Erhitzt und wütend, wie sie nach dem Zusammenstoß mit Joshi war, hat sie sofort Schlüssel und Beschläge geholt und ist losgezogen. Sie kann nicht ganz ausschließen, dass sie inzwischen nach Schweiß riecht, und wie sie sich kennt, ist das Gefühl körperlicher Unvollkommenheit der beste Schutz vor Unvernünftigkeiten. Außerdem erinnert sie sich nicht einmal, welche Unterwäsche sie trägt, aber bestimmt keine besondere. Die Abreise aus der Stadt heute früh scheint ihr Tage her.
Das große Scheunentor ist nur angelehnt. Ilka hat Herzklopfen, als sie es aufdrückt. Drinnen ist es dämmrig, eine Stimmung wie auf einem verzauberten Dachboden. Jan ist nicht zu sehen. Der riesige Raum ist unübersichtlich, weil Jan keine Trennwände eingefügt hat. Er benutzt Möbel und Regale als Raumteiler, Ilka bewundert ihn für die scheinbare Zufälligkeit seiner Anordnungen. Leo würde wahrscheinlich sagen, es sieht aus wie in einer Rumpelkammer, aber ihr gefällt es. Gefiel es zumindest bisher. Zögernd geht sie dorthin, wo Tisch und Herd stehen und wo sie schon einmal Tee getrunken hat. Sie hasst solche Situationen. Man muss auf sein Gesicht achten, man könnte schon die ganze Zeit beobachtet sein.
»Ich bin hier«, ruft Jan, als wolle er sie beruhigen. Ganz hinten, versteckt hinter Bücherregalen voller Aktenordner und Computermagazine, steht er an einer Werkbank, vor sich das aufgebrochene Schloss. Ilka setzt sich auf einen Schemel. Er wirft ihr einen Blick zu und wendet sich gleich wieder ab; sie ist doppelt froh, dass sie sich nicht hergerichtet hat. In ihrem Kopf läuft ein Film ab, sehr kurz und trotzdem im Schnelldurchlauf. Der Film scheint davon zu handeln, dass sie mit diesem fremden Mann, hier mitten im Naherholungsgebiet, eine Affäre hat. Sie sieht sich mehrmals, in verschiedenen Kleidern, von außen die Scheunentür aufdrücken, die Film-Ilka macht dabei ein peinlich heimliches Gesicht. Was drin, hinter den Bücherregalen, genau passiert, zeigt der Film nicht. Er zeigt bloß, wie sie wieder weggeht, und zu Hause, im eigenen Garten, Amos auf den Arm nimmt, während sich links und rechts Joshi und Alina an sie schmiegen, wie sie das in Wirklichkeit nie tun. Leo ist in dem Film nicht zu sehen.
»Einbruch, hab ich gehört«, murmelt Jan, während er mit einer kleinen Feile im Schloss herumfeilt, »viel weg?«
»Gar nicht«, antwortet Ilka und gibt sich amüsiert, »nur die Gartengarnitur, das heißt, der Tisch und vier von sechs Sesseln. Die anderen zwei haben sie nicht gebraucht. Und stell dir vor: Es waren keine Rumänen!«
»Wie bitte?«, fragt Jan, und da springt Ilka kopfüber hinein in
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