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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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sich für seine zweite Leichenschmaus-Hälfte im ›Granatapfel‹, und ihre Eltern waren endlich noch weiter getrennt, als es die meisten gewesenen Paare trotz aller Anstrengung fertigbringen.

Habgier

NORAS ERSTE BEGEGNUNG mit Josef Tolomei war so unglücklich verlaufen, dass sie sie jahrelang parat hatte, wenn in trunkenen Runden um die peinlichste Geschichte gewetteifert wurde. Nora erntete immer viel Gelächter. Sie erzählte nicht bloß, sondern spielte die Sache mit vollem Körpereinsatz nach, und ihr war durchaus bewusst, dass sie nur deshalb so gut war, weil sie sich immer noch schämte.
    Ihren Hang zum Schämen empfand Nora als Nachteil. Sie glaubte, nur sie allein litte in diesem Ausmaß darunter. Sie hatte sich in ihrem Leben schon so schreiend geschämt, dass es ihr für eine Weile unmöglich schien, je wieder das Haus zu verlassen; sie vermochte dann nicht einmal, sich etwas anzuziehen, auch nicht die Unterwäsche. Natürlich hatte sie es trotzdem jedes Mal geschafft. Aber das Wissen, dass es ihr wieder gelingen, dass sie auch die quälendste Erinnerung nach einer gewissen, nackt verbrachten Zeit in einen Anekdotenkäfig sperren würde, half beim nächsten Mal nicht im Geringsten. Genauso wenig half das exhibitionistische Vor- oder Nachspielen, denn keine Blamage war wie die andere. Es war wie mit der Behandlung eines Zwangsneurotikers, von der sie einmal gelesen hatte. Dem Mann – oder, war es nicht viel wahrscheinlicher, der Frau – war vom Therapeuten aufgetragen worden, genau das zu tun, was er oder sie am meisten fürchtete: im Restaurant ein volles Glas umzuwerfen, möglichst schwungvoll und aufsehenerregend. Nora konnte sich gut vorstellen, wie schwierig das war, aber auch, dass man es mit einiger Anstrengung irgendwann lernen konnte wie ein Affe das Rechnen bis zehn. Was wäre aber damit gewonnen? Ihrer Meinung nach würde der Zwang nur woanders ausbrechen, unerwartet und umso furchterregender.
    Als sie Tolomei zum ersten Mal traf, studierte sie noch. Sie schrieb nebenbei für die Wochenendbeilage einer bürgerlichen Zeitung und hatte sich bereits einen gewissen Ruf als störrische Stilistin erworben. Wer ihr damals begegnete, war über ihre Jugend meist ebenso verblüfft wie über ihr Ungeschick, etwas aus sich zu machen. Sie hätte recht hübsch sein können, hatte dazu aber kein Talent. Beides war ihr undeutlich bewusst. Ihre angeborene Faulheit, sich wenigstens mit den Grundsätzen von Farben, Schnitten und Make-up vertraut zu machen, hielt sie für eine freie Entscheidung, für intellektuellen Hochmut gegenüber solchem Weiberkram. Sie hatte Wichtigeres zu tun. Am Tag ihrer Verabredung mit Tolomei aber borgte sie sich von einer Freundin ein Kleid.
    Mit dem Verweis auf das Kleid begann sie immer ihre Geschichte, denn auch später trug sie praktische Frisuren und klassisch schlichte Hosenmode. Inzwischen sah das an ihr aus wie Stil. Ihre Zuhörer verstanden daher den Hinweis, ganz abgesehen davon, dass geborgte Kleider sowieso böse Omen sind.
    Aus irgendwelchen Gründen war sie zu spät gekommen. Es war Sommer, sie war gerannt und schwitzte, als sie Tolomei die Hand gab, und sie schwitzte noch mehr, als sie endlich saß und auf ihr Getränk wartete. Tolomei, dem der Ruf eines Frauenhelden voranging, saß knochentrocken da und hatte tatsächlich einen Whisky Sour vor sich, um drei am Nachmittag. Nora hielt sich auf verquere Weise für aufmüpfig, als sie genau den gespritzten Apfelsaft bestellte, auf den er sie wohl taxiert hatte. Sein ironisches Lächeln kroch ihr über die Haut. Der verpatzte Anfang hatte sie durcheinandergebracht, und sie konnte nicht einschätzen, ob dieses Lächeln nur Spiel oder schon Urteil war. Als er ihr seinen Whisky zum Anstoßen entgegenhob, schwappte ein wenig vom Apfelsaft über sein Handgelenk. Ihre heftige Entschuldigung wischte er wortlos beiseite, kein Aufhebens wegen so etwas, schien er sagen zu wollen. Doch bei ihr kam es schon wieder als Vorwurf an, so als müsse eine richtige Frau dem Mann jederzeit alles Mögliche über den Anzug kippen können, und gerade das sorglose Schweigen darüber sei die Kunst. Weil sie sich tief erröten fühlte, nahm sie einen viel zu großen Schluck, der in ihrem Mund so aufschäumte, dass sie es zwar gerade noch fertigbrachte, ihn nicht wieder auf den Tisch zu spucken, aber nur zu dem Preis, dass sie sich heftig verschluckte. Sie japste und hustete, sie hatte einen roten Kopf und tränende Augen, sie lehnte keuchend und

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