Laienspiel
noch gute zwei Wochen bis zum Tag X waren und Maiers Horrorszenarien, was mit seinen Sachen passieren würde, wenn er nicht vorsorgen würde, immer bedrohlicher wurden, verspürte auch Kluftinger ein gewisses Unbehagen.
So hatte er schließlich doch angefangen, sich gedanklich mit der Sache zu beschäftigen. Sein Umzugskarton füllte sich in periodischen Abständen mit Dingen, die Kluftinger auf jeden Fall wegwerfen wollte, um ihn im Folgenden wieder zu leeren, weil er nach reiflicher Überlegung auf die Sachen doch nicht dauerhaft verzichten wollte. Darunter waren Gegenstände wie der batteriebetriebene Spitzer in Kuhform, bei dem man den Bleistift hinten in die Figur steckte, worauf ein lang gezogenes Muhen ertönte. Auch der kleine Holzhammer mit der Aufschrift »Büroschlafwecker – weckt sogar Beamte« war inzwischen schon mehrere Male in die Kiste hinein und wieder heraus gewandert. Er legte ihn neben den Kuhspitzer in seine Schreibtischschublade.
In der Kiste befanden sich damit im Moment nur zwei Gegenstände: zum einen eine König-Ludwig-Büste aus Kunststoff, eine Wetterstation, die je nach Wetterlage die Farbe ändern sollte. Seit Kluftinger sie von einer Kollegin aus Füssen geschenkt bekommen hatte, war sie stets blau gewesen. Zum anderen lagen ein Paar Handschellen darin, bezogen mit rosafarbigem Plüsch. Ein Geschenk seiner Kollegen zu einem Dienstjubiläum.
»Der lässt aber nix anbrennen«, sagte Strobl, der eben das Zimmer betreten hatte, und schürzte anerkennend die Lippen.
Kluftinger verstand nicht.
»Ich mein den Bydlinski. Der hockt schon die ganze Zeit auf Sandys Schreibtisch und versucht sie davon zu überzeugen, dass in Tirol nicht nur die Berge gewaltig sind …«
Kluftinger schüttelte den Kopf. »Der Haas geht ja noch, aber der … Ich bin froh, wenn der wieder weg ist.«
»Nicht nur du.«
»Wieso?«
»Na, der Roland kriegt langsam Krämpfe in der Hand, so ballt er die Fäuste, weil sich der so an die Sandy ranschmeißt.«
Kluftinger nickte. Hefele hatte seit jeher eine Schwäche für ihre Sekretärin, auch wenn er bisher noch nie etwas in dieser Richtung unternommen hatte. Dabei hätte Kluftinger die Chancen seines Kollegen gar nicht so schlecht eingeschätzt, immerhin war Sandy Henske kein Kind von Traurigkeit und Männerbekanntschaften gegenüber sehr aufgeschlossen. Allerdings wollte sie erobert werden. Das war jedenfalls sein Eindruck, da er das Balzverhalten seiner Kollegen mit einer gewissen Distanz und auch einem gewissen Amüsement verfolgte. Er selbst war froh, aus diesem »Geschäft« heraus zu sein, wie er sagte. »Gibt’s noch was?«, fragte der Kommissar schließlich, weil Strobl noch immer in seinem Büro stand. »Ich habe hier wirklich viel zu tun. Ich muss … sortieren und … packen, du weißt schon.«
»Ach so, tschuldigung. Also, weswegen ich gekommen bin: Ich hab die Identität unseres Selbstmörders rausgefunden.«
Kluftinger setzte sich kerzengerade hin. »Was? Und das sagst du mir erst jetzt? Wer ist er?«
»Er … war Student. An der FH Kempten. Maschinenbau. Sein Name ist Tobias Schumacher.«
»Gut, gib mir die Details. Ich fahr dann gleich hin.«
»Und was ist mit dem Packen?«
»Das?« Kluftinger warf einen Blick auf die Kiste und zuckte mit den Schultern. »Ist so gut wie erledigt.«
Der Kommissar war froh, der leidigen Verpflichtung zum Verpacken seiner Büroeinrichtung mal wieder entkommen zu sein. Und er genoss es, wenigstens kurz allein sein zu können. Er fuhr wie immer mit seinem alten Passat, nicht mit einem Dienstwagen. Eine lieb gewordene Gewohnheit, auch wenn mittlerweile der finanzielle Vorteil der Kilometerabrechnung durch die gestiegenen Benzinpreise völlig aufgefressen wurde.
Als er an der Kemptener Residenz vorbeikam, die in der strahlenden Sonne so friedlich dalag, stellte sich wieder jenes wohlige Gefühl von heute Morgen ein. Daran konnte auch ein Tanzkurs mit Doktor Superschlau nichts ändern.
An der Fachhochschule in Kempten angekommen, auf die man in der selbst ernannten »Allgäu-Metropole« so stolz war, dass man vor einigen Jahren alle Ortsschilder mit dem Zusatz »Hochschulstadt« versehen hatte, stellte Kluftinger seinen Wagen auf den Professorenparkplatz. Er war noch nie hier gewesen, kannte das Gebäude aber aus vielen Zeitungsberichten.
Als er den Campus betrat, der auf allen Seiten von modernen Gebäuden eingerahmt wurde, fühlte er sich ein wenig unsicher. Hochschulen waren nicht sein Terrain. Das
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