Laienspiel
bereits alle wieder in ihre Mitschriften vertieft hatten. Kombinationsgabe, lautete das Mantra, das er im Geiste vor sich hinsagte, bis die Vorlesung, von der er kaum noch ein Wort verstand, endlich zu Ende war.
Als der Professor geendet hatte, klopften die Studenten auf ihre Tische. Nur einer im Auditorium klatschte vernehmlich in die Hände.
»Professor Neumann?« Kluftinger stand vor dem gekachelten Pult. Neumann sah ihn mürrisch an. »Von Pünktlichkeit scheinen Sie nicht viel zu halten, mein Herr. Auch wenn Sie nur als Gaststudent hier sind – bitte halten auch Sie sich an die Regeln.«
Kluftinger langte in seine Hosentasche, zog seinen Dienstausweis heraus und knallte ihn auf das Pult.
»Kluftinger, Kripo Kempten. Herr Neumann, ich hätte ein paar Fragen an Sie.«
Den »Professor« hatte Kluftinger mit Bedacht weggelassen.
Verdutzt schaute Neumann sein Gegenüber an. Nach einer Weile lächelte er verlegen. »Ich … verzeihen Sie, ich konnte ja nicht wissen, dass Sie …«
»Kein Problem«, unterbrach ihn der Kommissar, »machen Sie sich da mal keinen Kopf. Schließlich hätte ich mich auch anmelden können.«
Einige Höflichkeitsfloskeln und etwa fünf Minuten später saß Kluftinger in Neumanns Büro vor einer Tasse dampfenden Kaffees und hatte bereits die Frage nach Tobias Schumacher gestellt.
»Lassen Sie mich überlegen. Schumacher, sagen Sie?« Neumann schüttelte seine grauen Locken. »Ich habe dazu im Moment kein Gesicht vor Augen.«
»Tobias Schumacher, Student der Fachrichtung Maschinenbau.«
»Lassen Sie mich kurz meine Sekretärin rufen, sie soll mir in der Studentenkanzlei die Akte holen. Die enthält auch ein Foto des Studenten. Mit Gesichtern kann ich mehr anfangen als mit Namen, wissen Sie?«
Zehn Minuten, nachdem Neumann über eine Gegensprechanlage sein Anliegen weitergegeben hatte, öffnete sich die Tür zu seinem Büro. Kluftinger war froh darüber, denn der Professor hatte sich die ganze Zeit nicht mit ihm beschäftigt, sondern war seiner normalen Arbeit nachgegangen, hatte Briefe geöffnet und E-Mails gelesen – während Kluftinger aus dem Fenster gesehen und ein Stoßgebet nach oben gesandt hatte, dass die unangenehme Situation so schnell wie möglich vorübergehen würde. Wenn er etwas hasste, dann war es diese peinliche Stille zwischen zwei Menschen, die sich nichts zu sagen hatten.
Endlich kam die Sekretärin mit der Akte des Studenten herein.
»Richtig, das ist dieser Schumacher. Ich kenne ihn vom Sehen aus einigen Vorlesungen. Allerdings habe ich noch nie persönlich mit ihm gesprochen, obwohl er in einem meiner Wochenendseminare war. Wenn Sie meine offene Meinung hören wollen: ein absoluter Mitläufer. Schüchtern, gehemmt, introvertiert. So einer, der sich beim gemeinsamen Essen nicht blicken lässt und sich sofort nach der letzten Sitzung in sein Zimmer zurückzieht. Seltsamer Typ.«
Kluftinger runzelte die Stirn. Er hatte ihm noch keine konkrete Frage zu dem Studenten gestellt, dennoch gab Neumann bereits eine Charakterstudie ab. Überhaupt, der Professor brauchte gerade etwas über »komische Typen« zu sagen: Erst schwieg er sich zehn Minuten aus, dann redete er ohne Punkt und Komma.
»Immerhin, keine schlechten Ergebnisse in den bisherigen Klausuren und Arbeiten. Ein relativ begabter Mann, wie es scheint«, sagte der Professor beinahe überrascht bei der Durchsicht der Papiere und klappte dann die Akte zu. »Sagen Sie, was war denn nun Ihre Frage zu diesem … Studenten?«
»Sie haben sie in der Hauptsache bereits beantwortet. Ich wollte vorwiegend Ihren Eindruck hören.« Tatsächlich half Kluftinger das oft am meisten: Der Eindruck, den sich die Leute von ihren Mitmenschen machten, führte in der Regel besser zum »wahren Kern«, wie er es nannte, als Lebensdaten, Kontobewegungen oder psychologische Analysen.
»Aber sagen Sie«, fuhr Kluftinger fort, »hatte der Schumacher irgendein Spezialgebiet, mit dem er sich befasste?«
Noch einmal zog Neumann den Ordner heran. Er blätterte eine Weile darin herum und antwortete dann: »Nun, integrierte Schaltungen, da hat er schon zwei Seminararbeiten geschrieben. Steuerungen, Zeitschaltungen. Aber nicht, dass Sie jetzt meinen, das ist ein wirklicher Schwerpunkt. Jetzt muss ich schon mal nachfragen: Hat er denn etwas angestellt? Oder werden Sie mir das ohnehin nicht sagen?«
»Ich dürfte es Ihnen nicht sagen, da haben Sie Recht. In diesem Fall aber ist es einfacher: Auf Schumacher müssen wir keine
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