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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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Kopf. Für eine Sekunde dachte er, dass diese plötzliche Aufwärtsbewegung seines Kopfes zu viel für ihn gewesen sei, dass ihm schwindlig werde, er wahrscheinlich gleich umfallen werde. Doch dann merkte er, dass es nicht seine verzerrte Wahrnehmung war, die dem starren Turm über ihm Leben einhauchte. Nein, der bewegte sich tatsächlich, schwankte bedrohlich und gab dann mehrere der ganz oben liegenden Spulen lautlos frei. Einen Augenblick schienen sie in der Luft zu verharren, dann wurden sie mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit größer, dunkler, bedrohlicher. Ohne darüber nachzudenken ging Kluftinger leicht in die Knie, stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab, prallte gegen Bydlinski und riss ihn mit sich zu Boden.
    »Bist deppert?«, war das Letzte, was Kluftinger hörte, dann wurde der heisere Aufschrei des Österreichers von einem ohrenbetäubenden Krachen verschluckt, als die Garnspulen auf dem Boden aufschlugen und zerbarsten.
    Nachdem das Donnern verhallt war, rappelten sich die Männer keuchend hoch. Von der Halle war kaum noch etwas zu sehen: Der Staub, den die Spulen aufgewirbelt hatten, vernebelte ihnen die Sicht, legte sich als weiße Schicht auf ihre Kleidung, ihre Gesichter, ihre Haare.
    Bydlinski glotzte Kluftinger mit einer Mischung aus Ungläubigkeit, Wut und Dankbarkeit an. Kluftinger nickte lediglich, sagte »Passt schon!« und begann, sich den Staub von der Kleidung zu klopfen. Ein Geräusch von der gegenüberliegenden Wand ließ ihn herumfahren. Sofort ruckte sein Kopf nach oben, doch diesmal bewegten sich die Spulen nicht. Stattdessen sah er gerade noch im Augenwinkel, wie jemand durch eine Tür weiter ins Innere der Halle schlüpfte.
    »Schnell«, rief Kluftinger, doch seine Stimme war nur noch ein raues Kratzen. Dann setzte er sich in Bewegung. Sein ganzer Körper schmerzte, und er war sicher, sich einige Rippen bei seinem Sturz geprellt zu haben, denn jeder noch so flache Atemzug wurde von einem stechenden Schmerz in seinem Oberkörper begleitet. Er näherte sich der Tür mit einer Mischung aus Rennen und Hinken und schlüpfte ebenfalls hindurch. Wenige Sekunden später verriet ihm ein Keuchen, dass auch Bydlinski den Gang betreten hatte. Sie blieben stehen und kniffen die Augen zusammen: Es brauchte ein paar Sekunden, bis sie sich an das schummrige Licht gewöhnt hatten. Dann schlichen sie, die Waffe im Anschlag, den Korridor entlang. Kluftinger rieb sich die Augen, die von dem Schweiß-Dreck-Gemisch brannten, das ihm von der Stirn rann. Dann legte er seine Hand schnell wieder an die Waffe, denn er wollte nicht, dass Bydlinski sah, wie sie in seinen Fingern zitterte.
    Am Bauch halten, am Bauch halten , wiederholte Kluftinger in Gedanken wie ein Mantra die Anweisung seines Schießtrainers. Der hatte ihm immer erklärt, dass die beste Methode, eine Waffe zu halten, die war, sie an den Bauch zu pressen. So könne man am schnellsten in Anschlag gehen und habe sie außerdem ganz ruhig in der Hand. Die üblichen Varianten, die man in Fernsehkrimis sah, seien dagegen zwar spektakulär, aber wenig praxistauglich. Ein Blick zu seinem Kollegen zeigte ihm, dass der Österreicher sich für eine der schickeren Cowboy-Versionen entschieden hatte.
    Kluftinger verlangsamte jetzt seinen Schritt. Sie hatten das Ende des Flurs erreicht. Aus dem Raum vor ihnen fiel diffuses Licht. Von ihrer Position aus konnten sie lediglich erkennen, dass der Boden grau gefliest war. Bydlinski und Kluftinger sahen sich an. Die Halsschlagader des Kommissars pulsierte so stark, dass er sich sicher war, Bydlinski könne es sehen. Er wünschte sich einen seiner eigenen Kollegen hierher. Mit Strobl, Hefele oder sogar Maier hätte er sich bestimmt sicherer gefühlt. Die kannte er, zu denen hatte er Vertrauen …
    Plötzlich drängte sich Bydlinski an ihm vorbei. Mit einem Satz sprang ihm der überraschte Kommissar nach und betrachtete den Raum. Sie standen in einem großen Duschsaal: Boden und Wände waren gekachelt, wenn auch ein beträchtlicher Anteil der Fliesen als Scherben am Boden lag. Aus den Wänden ragten verrostete Duschköpfe, ein kleines, schmales Fenster am oberen Rand verteilte ein fahles Licht im Raum, was ihm eine unwirkliche Atmosphäre verlieh.
    Doch nicht deswegen fühlte sich Kluftinger so unbehaglich: Vier Durchgänge führten von hier aus in andere Räume. Durch welchen war der Flüchtige gegangen? Wartete er nur darauf, dass sie sich trennten und einzeln durch eines dieser schwarzen Löcher in der

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