Lakefield House (German Edition)
ungeduldig das Gesicht, nicht ohne ein spöttisches Glitzern in den Augen. „Von allen Seeungeheuern sind die Wasserpferde die gefährlichsten“, begann er im Plauderton eines Geschichtenerzählers. „Sie erscheinen mal als schreckliche Monster, als riesige Vögel oder sogar als geflügelte Pferde.“
„So wie Pegasus?“, fragte Rebecca lächelnd.
„So ähnlich. Nur eben viel gefährlicher. Denn wer das schöne geflügelte, weiße Pferd sieht, und es wagt sich auf seinen Rücken zu schwingen, der bleibt dort kleben und ist unrettbar verloren. Man kann es satteln und reiten, aber sobald es in die Nähe des Meeres kommt, das Wasser nur sieht, rennt das Wasserpferd hinein und verschlingt auf dem Meeresgrund seinen Reiter mit Haut und Haaren.“
Rebecca gefiel die gruselige Geschichte. „Das klingt ziemlich schauerlich. Ich werde mich also vor weißen geflügelten Pferden fernhalten müssen.“
„Auf jeden Fall“, gab er lächelnd zurück.
XIII
Dass bereits vier Tage vergangen waren, seit Rebecca nach Cunningham Hall gezogen war, konnte sie sich kaum vorstellen. Und jetzt, wo Connors kleine Nichte da war, weil ihr Vater und Großvater für einen Geschäftstermin verreist waren, verging die Zeit ohnehin wie im Fluge.
Nora war ein Nervenbündel, chronisch gut gelaunt, schrill und hatte eine extreme Schwäche für die Farben Pink, Rosa, Rosé und Magenta. Meistens hing sie entweder an Errol oder Connor. Letzteres war gerade der Fall. Nora versuchte einige ihrer Haarklammern in Connors Frisur zu fixieren und ihm so ein etwas feminineres Aussehen zu verschaffen, nachdem sie Rebecca die Haare eingeflochten – oder vielmehr verknotet - hatte. Da Connor gleichzeitig versuchte eine Tasse Tee zu trinken, empfand er den Vorgang als etwas störend.
„Wie lange, sagst du, ist Lucas in China?“, fragte er seine Mutter. Doch noch ehe diese antworten konnte, fing Nora an auf und ab zu hüpfen und rief: „Daddy ist in Tina! Daddy ist in Tina!“
„Um Gottes Willen, in China! China!“, korrigierte Connor hastig und schob sie von sich. Als er anfing sich die Haarklammern vom Kopf zu ziehen, verschränkte Nora wütend die Arme vor der Brust und stampfte mit einem Fuß auf.
„Bis Sonntag. - Komm her, Schätzchen“, sagte sie an Nora gewandt und breitete die Arme aus.
„Ich will Onkel Connor Zöpfe flechten!“
Rebecca prustete vor Lachen. Nora funkelte sie an und schien nicht sicher, ob sie schmollen oder mitlachen sollte.
„Vergiss es, Prinzessin“, sagte Onkel Connor und griff nach einem Shortbread, während Rebecca in ihren heißen Tee blies.
Nachdem sie die Möglichkeiten offenbar kurz abgewogen hatte, kletterte Nora auf Cassandras Schoß und ließ sich ein Stück Marmeladentoast in den Mund schieben.
„Seht ihr? So geht das.“ Sie wippte Nora auf ihren Knien und nahm einen Schluck Tee. „Ich muss gleich zu Maeve und die Pläne für das neue Gewächshaus abholen, bevor nachher die Bauarbeiter kommen. Vorher muss ich Nora noch zum Zug bringen. Das neue Kindermädchen holt sie dort ab.“
„Schon wieder ein neues?“, fragte Connor amüsiert.
Seine Mutter rollte zur Antwort nur mit den Augen.
„Nanny Grace war doof!“
„Das sagt man nicht“, befand ihre Großmutter und konnte noch immer nicht begreifen wie eine Fünfjährige es schaffte wöchentlich mindestens ein Kindermädchen zu verschleißen. „Und jetzt komm, sonst schaffe ich es nicht.“
„Soll ich sie zum Zug bringen?“, fragte Rebecca. Sie wollte gerne mal raus aus Cunningham Hall. Es war ein sonniger Spätsommertag und damit prädestiniert für eine kleine Spazierfahrt.
„Würdest du das tun?“
Cassandra und sie hatten sich mittlerweile auf ein freundschaftliches Du verständigt.
„Natürlich. Das ist doch das Mindeste, nachdem ich hier eure Zeit, Mühe und nicht zuletzt Connor in Beschlag nehme.“
„Na dann, sehr gerne. Der Bahnhof ist gleich unten im Dorf. Er hat einen Turm mit einer rot-weißen Flagge. Du kannst ihn nicht verfehlen.“
„Soll ich mitkommen?“, fragte Connor.
„Das ist zwar sehr nett von dir. Aber ich denke, ich schaffe es schon drei Kilometer zu fahren. Ich brauche nämlich genauso wenig eine Nanny wie Nora. - Stimmt’s, Kleine?“
Nora grinste breit über ihr kleines Engelsgesicht, wobei sie ein Erdbeerstückchen zwischen den Schneidezähnen hatte und wechselte spontan von Cassandras auf Rebeccas Schoß.
Connor lehnte sich lächelnd zurück. „So ein kleines Mädchen steht
Weitere Kostenlose Bücher