Lakritze - Thueringen Krimi
Sterbebett.
Das ermordete Mädchen im Wald war ohne Beistand gestorben. Der Killer war der letzte Mensch, den sie gesehen hatte.
Im ersten Obergeschoss erzählten die Gemälde von einem Ritter, der auf einem Kreuzzug gefangen genommen, jedoch aufgrund der Liebe einer Sultanstochter verschont worden war. Graf von Gleichen, wie Carla auf einer Tafel lesen konnte.
Vor dem vierten Bild blieb sie stehen. Es zeigte die Flucht der Sultanstochter mit dem Ritter übers Meer. Das Wasser war aufgewühlt, ein Sinnbild von Carlas eigenem Leben. Was wollte sie? War Ralph ihr Ritter, war er der Mann, mit dem sie jede Gefahr umschiffen konnte?
Sie musterte Bild fünf und sechs. Obwohl der Graf bereits ein Weib hatte, ehelichte er die Sultanstochter, und sie lebten zu dritt glücklich bis an ihr Ende.
Ein Mann, zwei Frauen. Carla fragte sich, ob sie es ertragen könnte, wenn Ralph neben ihr eine zweite Frau hätte. Ausgeschlossen. Er mochte Geheimnisse vor ihr haben, aber so etwas würde er niemals tun. Doch die Lust auf weitere Bilder war ihr vergangen.
Sie lief die Treppen hinab zum Ausgang. Als sie durch die Tür trat, sah sie einen Mann in Jeans und Lederjacke den Torbogen durchschreiten. »Kommissar Feuerbirk. Was machen Sie denn hier?«
»Ich bin im Dienst. Und Sie haben wohl unsere Stadtoberen besucht?« Er wies auf das Rathaus hinter ihr.
»Die nicht, aber die Bilder in den Treppenhäusern.«
»Kultur macht hungrig. Wie wäre es, wenn wir gemeinsam essen gehen würden? Oder haben Sie schon etwas anderes vor?«
Carlas Magen knurrte. »Wenn Sie möchten, dürfen Sie mich einladen.«
Feuerbirk deutete eine Verbeugung an, und sie grinste. Er dirigierte sie zum Ratskeller. Eigentlich hatte sie gedacht, sie würden im Biergarten Platz nehmen. Doch Feuerbirk führte sie nach drinnen zu einem Tisch am Fenster.
»Man muss uns nicht unbedingt wie auf dem Präsentierteller sehen«, erklärte er.
Die rustikale Bar des Schankraumes passte gut zu dem Cowboy-Kommissar, fast so, als hätte sie auf einen Typen wie Feuerbirk gewartet, um für ein regionales Bier zu werben. Bier war wenigstens mal etwas anderes als Zigaretten, dachte Carla, obwohl sie sich den Kommissar nach wie vor am ehesten wie den Marlboro-Mann in der Prärie an einem offenen Feuer sitzend vorstellen konnte.
Feuerbirk räusperte sich. »Ich komme gerade von einem Meeting. Polizei und Stadtverwaltung arbeiten gewöhnlich Hand in Hand in unserer Stadt. Aber diesmal läuft einfach alles schief.«
»Hat man Ihnen verboten, weiter zu ermitteln?« Carla erinnerte sich dunkel an Skandale in der Erfurter Stadtverwaltung. Manche einflussreichen Leute dachten wohl, sie könnten sich kraft ihres Amtes dem Gesetz entziehen. Vielleicht war der Mädchenmörder unter den Stadtvätern zu finden.
»Es gab eine Pressekonferenz zu den Frauenmorden«, sagte Feuerbirk. »Die Journalisten haben die Kriminalpolizei regelrecht abgewatscht. Mein Chef hat getobt.«
Carla sah die Schlagzeile wieder vor sich: Würger in Thüringen hält die Polizei zum Narren.
»Von Ihrem Boss stand nichts in dem Artikel.« Sie hatte weder in ihrem Bericht als Augenzeugin noch in dem zweiten Artikel Namen oder Dienstgrade genannt. Blöd, dass man sie nicht über die Pressekonferenz informiert hatte.
»Normalerweise hält mein Chef sich im Hintergrund, aber wenn er mal in eine Ermittlung eingreift, knallt es.«
»So wie jetzt?«
»Er hat verlangt, dass ich das Waldidyll verlasse und nur noch von Erfurt aus arbeite. So ein Schwachsinn.«
»Er wird seine Gründe haben.«
»Das sind bei ihm Antipathie und Voreingenommenheit gegen befähigte Mitarbeiter.« Feuerbirk fegte ein paar imaginäre Krümel vom Tisch.
»Und jetzt? Brechen Sie Ihre Zelte im Waldidyll ab?«
»Gott bewahre, ich habe mich durchgesetzt.«
»Warum sind Sie dann so sauer?«
Feuerbirk beugte sich nach vorn und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. »Ich stecke in einer Sackgasse.«
»Das ist übel.«
»Die erste Tote ist identifiziert. Sie heißt Marie Berger, hatte gerade ihre Ausbildung abgeschlossen und einen Job als Verkäuferin in einem Laden für Angelzubehör in Erfurt angenommen. Die zweite Leiche gibt uns Rätsel auf. Wir haben keine Ahnung, wer sie ist.«
Deshalb also hatte der Kommissar nichts gesagt. Aber warum erzählte er ihr das alles?
Er musste ihre stumme Frage gespürt haben. »Morgen steht es in der Zeitung. Unser Polizeisprecher hat die Fakten zur Veröffentlichung an die Presse gegeben.«
»Hat man sie
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