Lallbacken
Offenbar war sie wesentlich intelligenter als ihr Minister. Die Anti-AKW-Bewegung hatte die deutliche Mehrheit im Land. Der politischindustrielle Komplex pfiff auf dem letzten Loch. Dennoch schätzten der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Vorstände von RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall, die Unionsparteien und die Liberalen die Situation erst mal völlig falsch ein. Sie wollten zum Wohle der Milliardengewinne der Energiekonzerne weiter va banque spielen. Doch ihre Argumente waren allzu dürftig.
Sie sagten beispielsweise: Absolute Sicherheit gibt es nicht.
Antwort: Doch, wenn man gar nicht erst AKWs baut.
Oder: Deutsche Atomkraftwerke sind die sichersten der Welt.
Antwort: Arroganter Schwachsinn. Der Satz wäre nur wahr, wenn er lautete, unser Uran und Plutonium strahlen nicht.
Oder: So etwas wie Fukushima könnte in Deutschland nicht passieren.
Antwort: Quatsch. Auch in Deutschland ist man nicht absolut vor Kernschmelzen sicher.
Oder: Auch wenn wir aussteigen, sind wir von Atomkraftwerken umgeben.
Antwort: Ja und? Das ist doch kein Grund, sich selbst welche zuzulegen, sondern Anlass, andere davon abzuhalten, sie zu bauen.
Die Bundesregierung wollte nun auf ein bisschen Atomkraft verzichten, und hier und da sollte sicherheitshalber noch mal die Sicherheit überprüft werden. Aber kurz zuvor war doch angeblich noch alles total sicher gewesen? Und jetzt wollte man etwas weniger Atomkraft? Warum? Und dass man vor kurzem noch deutlich mehr wollte, das war trotzdem völlig richtig? Atom-Merkel und die Lallbacken ihrer nuklear gesteuerten Entourage gaben nicht zu, dass die Laufzeitverlängerung ein Fehler war, und sie konnten auch nicht erklären, wie sie gleichzeitig für mehr und für weniger AKWs sein konnten: Es war ja noch gar nicht lange her, dass sie dem Volk erzählt hatten, man könne auf kein AKW verzichten, weil dann eine Stromversorgungslücke entstünde und das Volk im Dunkeln säße. Selten nur machten Lallbacken einen peinlicheren Eindruck.
Und dann trat Helmut Kohl mal wieder in Erscheinung und der Kanzlerin in Deutschlands beliebtester Tageszeitung vors Schienbein: Es sei kein Grund vorhanden, sich über eine Verkürzung der verlängerten Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke Gedanken zu machen, denn »es gibt kein Leben ohne Risiken, sie gehören zum Alltag wie Wind, Wasser und Sonne … Was in Japan passiert ist, ist schrecklich, aber – in aller Brutalität – es ist auch das Leben.«
Wie das Leben so spielt. Risiko gehört zum Leben. Man steckt ja nicht drin.
Risiko heißt im Fall Kernschmelze: Man muss damit rechnen, dass man selbst und die ganze Familie umgebracht werden. Weiter Kohl: »In Deutschland hat sich … erst einmal und unmittelbar gar nichts verändert« … Nur »die Wahrnehmung der Menschen«, und deswegen ist Deutschland, »gerade jetzt gefordert«. Sollte heißen: Weitermachen, liebe Freunde von der Störfall-Industrie, haltet durch, ich bin bei euch.
Daraufhin verdichtete sich der Wunsch, alle, die weiterhin für Atomkraft sind, erst mal zu Aufräumarbeiten nach Japan zu schicken. Im Anschluss können die Damen und Herren ja eine Kneippkur machen: Wassertreten in Fukushima.
In ihrer Regierungserklärung sagte Merkel, niemand habe ahnen können, dass Atomenergie so gefährlich sei. Ihr habe das jedenfalls keiner gesagt. Klar, und japanische Bedienungsanleitungen konnte sie auch nicht lesen. Dass sie sich von Windenergieunternehmen hat schmieren lassen, konnte bislang nicht verifiziert werden. Lallbacke Sigmar Gabriel warf ihr aber schon mal vor: »Sie haben die Sicherheit gegen Geld verkauft.«
Doch Frau Merkel machte auch Punkte, weil sie offenbar den Richtigen ins Portemonnaie griff: »Eine Million pro Tag Gewinn« wollten die Herren von RWE von der Bundesrepublik einklagen. Vielleicht kommt es eines Tages für den Fall eines Friedens in Afghanistan auch zu Schadensersatzforderungen der Rüstungsindustrie.
Die Atommüllproblematik bleibt Deutschland bis auf weiteres erhalten. Bayerns Ministerpräsident Seehofer sprach sich für die Suche nach einem neuen endgültigen Endlager aus: »Wir müssen erst mal Deutschland ausleuchten.« Die Bürger sind also gehalten, ihm alle ihre dunklen Ecken und verborgenen Seiten zu zeigen und, wenn Seehofer es wünscht, ihm erst die Kerze zu halten und ihm dann heimzuleuchten.
Nur der Blauflossen-Thunfisch kann dem Desaster von Fukushima vielleicht etwas Positives abgewinnen – er steht, als Resultat ungezügelter
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