Lallbacken
wesentlich attraktiver. So erfuhren die Deutschen, was es in der Welt wert war, ein Deutscher zu sein. Diese deprimierende Erkenntnis führte zu einer letzten großen Anstrengung, das Überleben des Volkes zu sichern.
Man führte eine intensive Diskussion: Was sind wir bereit zu tun, um einen durch und durch gesunden Menschenschlag zu züchten, und wollen wir alles unterlassen, was diese Zuchthominiden verhindern könnte? Das deutsche Parlament debattierte intensiv, vor allem die Frage: Waren wir nicht alle mal ein Embryo? Die meisten antworteten mit bejahendem Kopfnicken, denn sie konnten sich noch gut an diese schwere Zeit erinnern. Am Schluss der Debatte war klar: Etliche der Abgeordneten wären nie entstanden, wenn man sie vor ihrer Geburt gentechnisch überprüft hätte. Und schließlich war man sich einig: Deutschland brauchte dringend gentechnologische Züchtungserfolge, um ein einigermaßen zukunftstaugliches politisches Personal zu erhalten. Und so einigte man sich auf ein »Verbot mit Erlaubnisvorbehalt« für den Import von Embryozellen.
Das bedeutet: Weil das Töten von Embryonen – zumindest nach dem Abitur – in Deutschland verboten war, musste sich die Forschung die Dinger im Ausland besorgen, wo man nicht so zimperlich war. Das hatte den Vorteil, wenn sich herausstellte, dass es sich doch irgendwie um Menschen handelte, die da eingeführt wurden, konnte man sie abschieben. Den auch noch in die Debatte geworfenen Hinweis, Verletzungen der Menschenwürde riefen im Falle geborener Zeitgenossen häufig weit weniger Engagement hervor als im Fall Zellimport, ließen die Parlamentarier bedrückt, aber mit ernster Miene an sich abprallen.
Verantwortungsbewusste Entscheidungsträger wiesen schließlich darauf hin, man dürfe die sozialethische Dimension der Gentechnik nicht vergessen, und nur, wenn sich die neue Züchtungsindustrie mit der Beförderung von Arbeit und Wohlstand verbinden ließe, würde die Genforschung eines Tages zur Arbeiterwohlfahrt des biotechnischen Zeitalters. Man gründete einen nationalen Ethikrat, bestehend aus Wissenschaftlern, Theologen, Juristen und pensionierten Politikern. Dieser Ethikrat war sich bald einig, dass die Unantastbarkeit der Menschenwürde im deutschen Wirtschaftssystem eine kleinbürgerliche Illusion sei, weil die Gesellschaft nicht auf Moral ziele, sondern auf Profit. Und solange sich nur ein Pfennig mit Gentechnik, Klonen et cetera verdienen ließe, solle dies auch geschehen.
Wenige Jahre darauf musste sich der Ethikrat mit PID beschäftigen, der präimplantationsgenetischen Diagnostik. Dabei ging es um den Ausschluss schwerer Gen- und Chromosomendefekte, die die Eltern partout nicht vererben wollten. Dagegen gab es schwere ethische Bedenken quer durch alle Bevölkerungsschichten und Parteien. Alle waren sich zunächst einig: Designerbabys sollte es nie und nimmer geben. Aber natürlich veränderten sich die Kriterien für die Diagnostik relativ schnell: Erst wurde PID stark reglementiert erlaubt. Dann spekulierten Pharmaindustrie und Gesundheitsministerium darauf, nach Elternwünschen gestylte Kinder könnten ein gutes Geschäft sein, vielleicht hatte PID das Zeug dazu, Mode zu werden oder vielleicht sogar Kult, und dann war es nicht mehr weit bis zur Selbstverständlichkeit. Und bei der Vorstellung, künstliche Befruchtung und PID würden eines Tages sogar Vorschrift, rieben sich alle Beteiligten vergnügt die Hände.
Ausgestorben sind die Deutschen letztlich, weil ihnen der medizinisch-pharmazeutische Komplex aus Habgier die unkünstliche Befruchtung verboten hat. Da verloren deutsche Männer und Frauen das Interesse aneinander. Sie hatten einfach keine Lust mehr.
Die Welt kann nur hoffen, dass die in militärischen Forschungseinrichtungen eingelagerten deutschen Stammzellen absolut sicher weggeschlossen sind.
Leserinnen und Lesern, die sich wirklich ernsthaft über die ethischen Aspekte der Genetik informieren wollen, sei an dieser Stelle ein Text des damaligen deutschen Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin ans Herz gelegt. Der beschrieb sehr anschaulich die Problematik in ihrer ganzen Tragweite: ›Die utilitaristische Bestimmung des intrinsisch Wertvollen ist ebenso wie die utilitaristische Rationalitätskonzeption defizitär. Dies habe ich in meiner Kritik des Konsequentialismus ausführlich begründet und dort vor allem auf drei Konflikte hingewiesen, die zwischen utilitaristischer Ethik und zentralen moralischen Intuitionen oder
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