Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lallbacken

Lallbacken

Titel: Lallbacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Venske
Vom Netzwerk:
situierten Muttis und Vatis wären ja blöd, Karl-Friedrichs bessere Stellung in der Konkurrenzgesellschaft zu schwächen. Entlarvend ist in dem Zusammenhang der Satz einer Vertreterin der Gegner der Hamburger Schulreform: »Was mich stört, ist, dass die Schüler, die etwas besser sind, dafür ›verhaftet‹ werden, dass sie die Schwächeren mitziehen.«
    Dieser Satz ist auf viele Bereiche unserer Gesellschaft anwendbar – man muss nur »die Schüler« austauschen gegen »die Steuerzahler« oder »die Arbeitnehmer«. Dann wird die Grundeinstellung derer sichtbar, die nicht bereit sind, etwas abzugeben. Diese Einstellung nennt man »asozial«.
    Es ist schon grotesk: Die gut situierten Muttis und Vatis speisen gern und oft in diesem oder jenem Restaurant mit nichtdeutscher Küche. Sie sind stolz, wenn sie vom albanischen oder kurdischen Wirt mit Namen angesprochen und mit Küsschen links und Küsschen rechts wie gute Freunde begrüßt werden. Aber dessen Ali soll doch lieber auf eine andere Schule gehen als der kleine, aber zu Großem auserkorene Karl-Friedrich.
    Karl Valentin hat mal behauptet: »Kinder brauchen nicht erzogen werden, sie machen uns eh alles nach.« Nach Lage der Dinge ist das zu befürchten.
    Klar – eine optimale Erziehung ist wichtig. Und deswegen will Frau Dr. Angela Merkel, Akademikerin und gesamtdeutsches Konsensgirlie, in Schulzeugnissen wieder die sogenannten Kopfnoten einführen für Führung, Beteiligung am Unterricht, Ordnung und häuslichen Fleiß. Historisch betrachtet war es so: Wer gute Kopfnoten hatte und als Fleißnote gar ein »sehr gut«, aber in den Fächern eher traurige Noten, hatte es bei den Lehrern meist leichter als einer mit miesen Kopfnoten, Fleiß »völlig ungenügend«, und einem guten Zeugnis. Das war ein Zeichen von Charakterschwäche, so etwas nahm man übel an einer deutschen Schule.
    Wenn Dr. Lallbacke Merkel die Kopfnoten wiederhaben will, ist das ein schönes Zeichen von Selbstironie.
    Vielleicht wären Kopfnoten auch sinnvoll hinsichtlich der Aufzucht künftigen Geldadels. Dringend notwendig sind doch sonst Intensiv-Benimmkurse für Wirtschaftsführer, Banker, Anlageberater und alle anderen Finanzdienstleister. Denn man fragt sich ja wirklich: Wer hat diese Typen eigentlich erzogen? Wer hat ihnen diese Raffgier, diese Rücksichtslosigkeit und diese Bedenkenlosigkeit beigebracht? Wer lehrte sie zu lügen und zu betrügen, sich aber gleichzeitig für etwas Besseres zu halten? Woher haben sie ihren Dünkel? Wer hat sie so asozial gemacht? Warum haben sie nicht mehr im Kopf als eine Melkmaschine?
    Diese arroganten Schnösel sind das Ergebnis des kapitalistischen Bildungssystems.
    Im Jahr 2106 wird man in einer Festschrift anlässlich des 125. Geburtstags des letzten deutschen Gymnasialdirektors einen bemerkenswerten Aufsatz lesen können.
    Hier der Text in Auszügen: »Die Älteren werden sich noch daran erinnern, mit welcher Begeisterung die Sechsjährigen damals in die erste Klasse gingen. Und wer sich dann die völlig demotivierten Halbwüchsigen ein paar Jahre später anschaute, der konnte ermessen, was für ein Verbrechen die Schule in jenen Jahren an der kindlichen Seele verübte. Es ist heute gar nicht mehr zu begreifen, mit welchem Gleichmut die Menschen damals die Stümperei der Schulverantwortlichen ertrugen. Damals, zu Beginn unseres Jahrtausends, gab es an vielen Hauptschulen Probleme: gewalttätige Schüler, hilfloses Lehrpersonal, fehlende Deutschkenntnisse. Unterricht fand an diesen Hauptschulen praktisch nicht mehr statt. Lehrerinnen und Lehrer hatten nur noch ihre Frühpensionierung im Sinn, stadtbekannte Psychologen zögerten nicht, ihnen eine Schulkinderallergie zu attestieren. Schülerinnen und Schüler waren ungezogen und gewalttätig. Sie bedrohten die Lehrer, und es soll sogar zu sogenanntem Schuleschwänzen gekommen sein.
    Die Bevölkerung war erschüttert, jeder Schulstandort stand unter Polizeischutz. Auf Pausenhöfen wurden zeitweise mehr Journalisten als Drogendealer gesichtet, und weil die Übertragungswagen des Fernsehens die ganze Straße blockierten, fanden die Crashkids nicht mal mehr Parkplätze für ihre gestohlenen Sportwagen. Politiker jedweder Couleur bereisten mit verdunkelten Mienen die Schulen und entdeckten als Fachleute für Erziehungsfragen die Kuschelpädagogik der 68er im zwanzigsten Jahrhundert als wahre Ursache der juvenilen Disziplinlosigkeiten. Vor allem in den östlichen Ländern waren die Menschen überzeugt: In

Weitere Kostenlose Bücher