Lamarchos
wusch die schmutzige Windel aus, spülte sie in frischem Wasser und hängte sie vor die Hintertür, damit sie im Sonnenlicht bleichte und trocknete. Die ganze Zeit über plapperte Sharl fröhlich vor sich hin, strampelte mit seinen Füßchen, grapschte nach jedem Halt, der sich seinen umhertastenden Händen bot, ohne sich darum zu kümmern, ob es Teil seines eigenen Körpers oder etwas Fremdes war.
Aleytys wischte ihre Hände ab und nahm den Säugling hoch. Sie schaukelte ihn ein paar Minuten, dann legte sie ihn auf die Matratze nieder. Neben der Pritsche knieend, spielte sie mit ihm, bis er vor Lachen ganz erschöpft war. Dann bauschte sie die Decken im Schubkasten auf und bettete ihn zum Schlafen hinein.
Sie sah ein paar Augenblicke auf ihn hinunter, dann kletterte sie auf die Matratze zurück und streckte sich aus; blind starrte sie zur schwankenden Decke hinauf.
In Ordnung, dachte sie. Du, in meinem Kopf. Ich bin jetzt kein verängstigtes, unwissendes Kind mehr. Sie lachte in sich hinein.
Wenigstens nicht mehr so unwissend, wie ich kürzlich noch war.
Beim ersten Mal dachte ich, ich würde dich träumen. Jetzt nicht mehr. Ich habe gesehen, wie sich deine Augen geöffnet haben …
Bernsteingelb … schwarz … Du solltest dich entschließen…
Gott, es macht mich benommen … Bist du … Was bist du? Sie schloß ihre Augen und wartete. Der Wohnwagen rumpelte die Straße entlang, schwankte und ruckte über die Fahrrinnen. Wieder bemerkte sie, wie Stavver und Looahn leger miteinander sprachen, zeitweise aussetzend, die Worte im steten trottenden Schlag der Hufe verloren, gelegentlich hervorgehoben durch ein schrilles Wiehern eines Hengstes, der gerade am Zaun entlangpreschte, seine Herausforderung in eine gelassene und verständnislose Welt hinausstieß.
Ihre Schultermuskeln begannen zu schmerzen, rasend schnell verfestigte sich die Spannung um sie herum. ,,Ahai”, murmelte sie, „es ist lange her … zu lange.” Sie zwang ihre Gedanken zurück, in das Tal des Ragsidan, erschuf mühevoll die Geist- und Körperentspannungstherapie neu, die Vajd sie vor langer Zeit gelehrt hatte
… dachte sie plötzlich … Gar nicht so lange, nur ein Jahr und dazu noch ein Standard-Jahr … Ich kann es nicht glauben… Nein… das ist nicht wahr. Es ist eine andere Art von Zeit, die für mich vergangen ist. Nicht einfach nur Sekunden/Minuten/Stunden, sondern Zeit, gemessen an den Veränderungen… Großen und kleinen Veränderungen … In mir … Diesem Maß entsprechend ist die Zeitspanne, die vergangen ist, seit ich den Ragsidan verlassen habe, hundertmal so lang wie die Zeit, die ich im Tal lebte. Ragsidan… Bei der Erinnerung an das saubere, kalte Wasser des Bergflusses, kristallklar grün auf grün dahingleitend … Tanzendes Wasser, weiß auf den Stromschnellen und mit Regenbogenfarben im Nebel des Zwei-Meter-Wasserfalles unter der Brücke … Plötzlich hatte sie elendes, erbärmliches Heimweh …
Sie riß ihren Geist von seinem destruktiven Kreislauf los und disziplinierte sich in der ersten und einfachsten der Übungen Den Atem ein- und wieder ausströmen sehen, dabei beim Ausatmen von eins bis zehn zählen, eins bis zehn … Die eiserne Entschlossenheit, mit der sie begann, eine selbstbezwingende Anspannung, genaugenommen, langsam … zu langsam … entwich, und ihr Verstand wurde ruhig. Sie lag da, ihr Herzschlag war langsam und kräftig, wie der eines Langstreckenläufers, ihr Verstand war befreit und gelassen, ihr Körper so gründlich in die Umgebung eingestimmt, daß er sich von ganz allein an die Stöße und Erschütterungen anpaßte, ohne daß dies mehr als nur sehr geringfügig in ihre Gedanken eindrang …
Ich öffne mich dir … Komm … Wir teilen meinen Körper… Früher war ich deinetwegen verärgert und beunruhigt - ich bin es nicht mehr. Ich akzeptiere dich … Ich muß … da ich weiß, daß mir nichts anderes übrigbleibt… Hörst du mich?
Ein Druck erschütterte die Oberfläche ihres Verstandes, erstarb gleich darauf wieder. Sie lag fast im Koma, das Leben ein schwaches Leuchten, irgendwo weit weg. Bernsteingelb und schwarz flackerten die Irrlichter über die Rückseite ihrer Augenlider -verschwanden …
Sie atmete langsam, langsam … Das Hexenlicht loderte erneut empor. Schwach spürte sie … etwas … etwas…, das sich bemühte, ihr entgegenzukommen, aber wie in einem Alptraum währte der Kampf endlos, war fruchtlos, dehnte sich immer weiter … Das Etwas, das kämpfte, schrie
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