Lamento
bei mir
Doch ich weiß, du bist nicht da.«
Sie hielt inne und legte sich die Hände auf die Brust. »Ach, mein Luke, ich liebe dich so sehr.«
Aodhan lachte verächtlich, was auf Lukes Gesicht so bizarr aussah, dass ich den Blick abwenden musste. »Und ich dich, meine Schöne.«
»Ich will dich von deinen Fesseln befreien.«
Aodhan trat näher zu Eleanor heran. »Und ich dich von deinen Kleidern.«
Eleanor lächelte. »Wahrlich, dies ist unser Schicksal. Wir werden zusammen fliehen.«
»Wir werden
etwas
zusammen machen.« Aodhan griff nach Eleanors Hand, doch sie entzog sie ihm und stützte in einer übertriebenen Geste der Nachdenklichkeit ihr Kinn darauf.
»Doch was soll aus meinem verschmähten Geliebten werden? Der Pfeifer liegt im Sterben.« Eleanor schlenderte zu James’ reglosem Körper und blickte in beinahe überzeugendem Kummer auf ihn hinab. »Ah, ich weiß. Ich werde ihn zu einem Arzt bringen, der ihn reparieren kann.«
»Was Gott geschaffen hat, sollen die Feen nicht ausweiden«, bemerkte Aodhan.
Eleanor bückte sich und hob langsam einen von James’ Armen. Sein ersticktes Röcheln hatte mich schon halb über die Bühne stürzen lassen, als Eleanor die Hand hob, um mich zurückzuhalten. Sie ließ seinen Arm wieder fallen und wandte sich traurig Aodhan zu. »Es hat keinen Sinn, Luke, mein Liebster. Der Pfeifer ist nicht mehr zu retten. Lassen wir ihn liegen und laufen davon.«
Sie rieb sich die Hände, als wolle sie Handcreme einmassieren, dann zog sie sie langsam auseinander. Zwischen ihren Fingern hing das geisterhafte Bild einer schmutzigen Taube. »Ich habe deine Seele gefunden. Ich werde dich befreien.«
Aodhan trat dramatisch vor und reckte die Brust. »Tun wir es.«
Eleanor presste die gespenstische Taube in Aodhans Brust und begann wieder zu singen.
»Zum Laut der Harfe klage ich
Denn als du an jenem Tage starbst
Mit meinem Herzen zahlte ich
Im Traume zieht es mich zu dir
Mit gebrochenem Herzen klage ich
Und nie mehr sing ich dieses Lied
Die Harfe erklingt nie mehr für mich …«
Aodhan lächelte breit, doch dann wurde sein Gesicht mit einem Mal aschgrau.
Polternd schlug er auf der Bühne auf und schloss die Augen. Eleanor tat, als wischte sie sich eine Träne fort, und wandte sich einem imaginären Publikum zu. »Verehrte Zuschauer, ihr mögt diese Wendung der Ereignisse …
schockierend
finden. Weshalb sollte mein Liebster tot darniedersinken, da ich ihn doch befreit habe? Ach, aber ihr vergesst, wie alt der Galloglassist. Wie könnte ein tausend Jahre alter Junge weiterleben, wenn er wieder mit seiner Seele vereint ist?«
Sie wandte sich mir zu, wobei ihr Gesicht wieder zu ihrem eigenen zerschmolz. »Siehst du jetzt ein, wie vergeblich all deine Mühe ist? Niemand kann ihn befreien, ganz gleich, wie edelmütig deine Absichten sein mögen. Ob heute Nacht oder in tausend Nächten, seine Seele
wird
zur Hölle fahren. Ich habe sein Leben gesehen, und glaube mir, er hat die Hölle verdient.«
Wie erstarrt blickte ich auf Aodhan in der Gestalt von Luke hinab, der immer noch auf der Bühne lag. Ich konnte mich nicht rühren, bis er sich aus Lukes Gestalt schälte, aufstand und meine Reaktion mit offenkundiger Freude beobachtete.
Und dann, als ich dachte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, wurde plötzlich jeder Laut und alles Licht aus meinen Ohren und Augen herausgesogen. Hinter mir fiel der Vor-hang wie ein Wasserfall aus Samt. Dann kehrten Geräusche und Licht zurück, und der Vorhang blähte sich bebend.
Die Königin trat zwischen den Samtbahnen hervor und warf sie mit gerecktem Kinn hinter sich. Es konnte keinen Zweifel daran geben, wer sie war. Macht und Alter drangen ihr förmlich aus allen Poren, obwohl ihr Gesicht so jung war wie meines. Zartes blondes Haar umrahmte schimmernd ihre Züge und wurde auf dem Kopf von einem gehämmerten Goldreif gehalten, der auf unheimliche Weise Lukes Armreif ähnelte. Sie war eines dieser schönen Mädchen, die einen dazu brachten, sich selbst zu verachten, wenn man in den Spiegel schaute, ganz egal, wie zufrieden man vorher mit sich gewesen war. In diesem Moment hoben sich abrupt ihre Lider, und zwei uralte Augen starrten mich an. Ich war angewidert, als hätte ich in einen Kinderwagen geblickt, aus dem mir eine Schlange entgegenstarrte.
Eleanor und Aodhan verbeugten sich so tief, dass ihre Wangen die Bühne berührten.
Der Blick der Königin glitt über die Szene: meine Harfe, der reglos daliegende James und ich – nur wenige
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