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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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stehen eher auf einen dezenteren Look.«
    Sara folgte meinem Blick in den Abgrund zwischen ihren Brüsten. »Ich, äh … das ist mir noch nie aufgefallen. Wirklich?«
    »Ja«, erwiderte ich bestimmt und erwärmte mich für meine Theorie. »Die jüngeren wollen was fürs Auge. Ältere Jungs suchen
Tiefgang
.« Ich verbiss mir das Lächeln und versetzte ihr den Todesstoß. »Deswegen würde ich nie mit einem Jungen aus der Schule gehen.« Ich konnte es nicht fassen, dass ich diese Unterhaltung mit ihr führte – als wären wir Freundinnen. Ich fragte mich, ob es bei den anderen Mädchen auf der Highschoolgenauso war – bei den Mädchen, die vor ihren Spinden über ihre Freunde schwatzten oder über Musik, die sie gern hörten. Vielleicht taten sie alle nur so, als wären sie die besten Freundinnen, obwohl sie im Grunde kaum etwas voneinander wussten.
    Sara riss die Augen auf. »
Deswegen
hast du nie ein Date? Ich dachte, das läge daran, dass du so ein Freak bist.«
    Auf der Taktometer-Skala von eins bis zehn erzielte Sara ohne weiteres eine elf. Ich konnte nicht nachvollziehen, weshalb ich mich früher so leicht von ihr hatte einschüchtern lassen. Ich zuckte mit den Schultern. »Das sagen viele, die mich nicht kennen. Selber schuld.«
    Der ehrfürchtige Ausdruck auf Saras Gesicht war unbezahlbar. Der Triumph, der durch meine Adern pulsierte, erst recht.
    Und dann betrat Sommersprosse den Laden, und mein Hochgefühl ging den Bach runter. Wieder war er makellos adrett, der Kragen an seinem edlen Polohemd hochgeschlagen, die Hände in den Taschen seiner perfekt sitzenden Baumwoll-shorts vergraben, aber nur so tief, dass man das halbe Dutzend Lederbänder an seinem Handgelenk noch sehen konnte.
    Doch es gab einen großen Unterschied zu unseren früheren Begegnungen – diesmal erkannte ich sofort, dass er zu den Feen gehörte. Und zwar nicht an dem würzigen Kräuterduft, der mit ihm hereinwehte. Nein, er besaß dieselbe betörende Perfektion wie Eleanor, bei der einem irgendwie anders wurde. Allmählich glaubte ich, sie könnte
das
Erkennungsmerkmal von Feen sein. Er war nicht einfach schön, obwohl er sehr attraktiv war, nein, es tat richtig
weh
, diese Schönheit anzuschauen. Außerdem strahlte er von innen heraus, warm und gesund, während die Neonröhren im Laden und das Gewitterdunkel draußen Sara und mich schrecklich blass aussehen ließen. Wie hatte ich ihn je für einen Menschen halten können?
    Als er die Hände auf die Theke legte und uns anlächelte, bemerkte ich den matten Schimmer eines Armreifs unter seinem linken Ärmel. Sara zog diskret ihre Schürze ein Stück höher und schob sich an der Theke entlang auf ihn zu. »Was darf’s denn sein?«
    Sommersprosse schaute von Sara zu mir und zurück. »Keine Ahnung. Alles sieht so
köstlich
aus.« Saras Lippen zuckten. Ich blieb stehen, wo ich war, und bekam eine Gänsehaut, denn ich spürte, dass unter der Oberfläche meiner eigenen Wahrnehmung Lukes Erinnerungen an Sommersprosse brodelten und hervorzubrechen drohten.
    »Tja, du kannst gern in aller Ruhe überlegen«, meinte Sara und wies auf die leere Eisdiele. »Nur keine Eile.«
    Er strich mit den Fingern am Rand der Glasabdeckung entlang, blieb ständig in Bewegung, wie bei unserer letzten Begegnung. Ich beobachtete, wie seine Finger von einer Metallschiene an der Vitrine zurückzuckten und dann ihren gemächlichen Weg an der Scheibe entlang fortsetzten, als sei nichts geschehen. In meinem Kopf flackerten Lukes Erinnerungen auf: Sommersprosse trieb eine Herde einjähriger Rinder in einen Fluss und lachte, als ihre weit aufgerissenen Augen im unerwartet tiefen Wasser versanken. Sommersprosse fuhr mit der Hand über die blutige Haut eines verängstigt aussehenden Mädchens, und die Knoten an den Lederbändern um sein Handgelenk zogen Spuren in das Blut. Ich biss die Zähne zusammen und hätte am liebsten vergessen, was ich da gesehen hatte.
    »Die Wahl fällt mir so schwer«, sagte er leise und lächelte Sara lässig an. »Kann ich denn mehr als eine bekommen, wenn ich mich nicht entscheiden kann?«
    Sara warf mir einen Blick zu und lachte. »Reden wir hier noch von Eissorten?«
    »Haben wir je von Eis geredet?« Sommersprosse beugte sichvor und fuhr sich mit der Zunge flüchtig über die perfekten Lippen. Ich hatte meine Kette, doch von Sara konnte ihn nichts fernhalten.
    Nicht zu fassen, aber ich würde die dämliche Gans vor ihm schützen müssen. Ich stellte mich dicht neben sie, presste einen Arm an

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