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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Reden zu bringen. Auf einmal fragte ich mich, ob das der Grund für ihr ständiges Geplapper war – vielleicht hatte sie versucht, mich aus meiner nachdenklichen Stille zu locken.
    Unser unbeholfener Versuch, Freundinnen zu werden, war für heute beendet, als James die letzten Stühle auf einen Tisch stellte und seine Schaufel vom Boden neben der Tür aufhob.
    »Wir sollten gehen, ehe es regnet.«
    Mein Handy klingelte, und ich holte es aus der Hosentasche. Diesmal wusste ich, zu wem diese Nummer gehörte, und klappte es blitzschnell auf. »Luke?«
    Ich konnte ihn kaum verstehen, als er sagte: »Ich war bei Granna. Das waren
sie


Vierzehn
     
     
     
     
     
    Blitze flackerten in den hoch aufgetürmten Wolken, die den letzten Rest blauen Himmels verdrängten. Eine Sekunde später donnerte es so laut, dass die Windschutzscheibe von James’ altem Pontiac erbebte. Ich ließ mich tief in den Sitz sinken und lehnte den Kopf an den vertrauten braunen Lederbezug. Dieser Geruch nach altem Leder und Autoteppich würde für mich auf ewig mit James verknüpft sein. In gewisser Weise
war
dieses Auto James. Er hatte so viele Stunden damit zugebracht, es vom Fahrgestell aufwärts neu aufzubauen, dass es beinahe ein Teil von ihm war.
    Er stellte das Audioslave-Album leiser und wollte offenbar etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Die Stille, die sich zwischen uns ausbreitete, wirkte im Kontrast zu unserem üblichen Geplänkel seltsam. Einen Augenblick lang wusste ich nicht, was ich sagen sollte. »Woher wusstest du, dass Granna etwas zugestoßen ist? Wie hat sich das angefühlt?«, fragte ich schließlich.
    James trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad und starrte auf die Straße. »Sie hat es mir gesagt. Deine Großmutter, meine ich. Mir ist übel geworden, und aus irgendeinem Grund musste ich an ihre Werkstatt denken. Also habe ich dich angerufen, und irgendwo zwischen den vielen Versuchen, dich zu erreichen, hat sie es mir gesagt.« Er stieß schnaubend den Atem aus. »Mann, Dee. Ich bin schon fast so irre wie du. Bald siehst du mich in der Fernsehwerbung mit meiner Kristallkugel und der Null-Neunhunderter-Nummer.«
    Ich sah ihn stirnrunzelnd an, als ein Blitz eine Hälfte seines Gesichts zuckend erhellte. »Aber du müsstest dir einen exotisch klingenden Namen zulegen, finde ich. Niemand würde einem
einheimischen
Hellseher glauben.«
    »Esmeralda klingt nett«, sagte James nachdenklich.
    Donner krachte so laut, dass es in meinen Ohren summte. Ich wandte mich wieder einem drängenderen Thema zu. »Ich kann nicht fassen, dass
sie
ihr etwas angetan haben. Das hat Luke jedenfalls gesagt.«
    »Ich weiß.« James’ Blick huschte kurz zu mir herüber. »Sie hat es mir auch gesagt. Sie nannte es einen ›Elfenschuss‹.«
    Das klang relativ harmlos, wie »Hexenschuss«.
Elfenschuss
. Ich fragte mich, was mich im Krankenhaus erwarten mochte. Beim Gedanken daran rutschte ich nervös auf dem Sitz herum. »Das ist schwer zu glauben. Fehler. Ungültige Eingabe. Datei nicht gefunden.«
    »Oh, da ist noch mehr«, fuhr James fort. »Ich habe ein paar Nachforschungen über Thornking-Ash angestellt – erinnerst du dich an die?«
    »Hm. Sie rufen ständig an und wollen, dass ich meine Bewerbung einreiche.«
    »Mich haben sie auch angeschrieben.« James bremste vor einem Schild, das den Weg zum Krankenhaus wies, und bog ineine Allee ab. Selbst durch das üppig grüne Blätterdach waren dunkelviolette Wolken zu sehen. Zwischen den Bäumen blitzten die Autos auf dem Krankenhausparkplatz hervor. Mein Magen krampfte sich zusammen, als ich an Granna dachte, die dort drin lag. »Anscheinend ist das eine Schule für Freaks.«
    »Ich dachte, es ist eine Art Konservatorium.«
    »Ja, das dachte ich auch. Aber ich habe ein paar ehemalige Schüler recherchiert, die mir alle irgendwie seltsam vorkamen. Also habe ich einige von ihnen angerufen, und sie waren
tatsächlich
ziemlich seltsam. Anscheinend geht musikalische Begabung oft damit einher, dass man ein Freak ist, so wie bei uns zwei Genies.«
    »Wirklich?«
    James fand einen Parkplatz in diesem Meer von Autos, die unter dem tiefvioletten Himmel allesamt silberfarben aussahen. Er stellte den Motor ab und drehte sich auf dem Fahrersitz zu mir herum. »Ich habe endlich den Repräsentanten erwischt, der dich auf dem Empfang angesprochen hat, Gregory Normandy – er ist der Oberboss, wusstest du das? Jedenfalls habe ich ihn festgenagelt. Er hat mir erzählt, parapsychologische Fähigkeiten

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