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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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hörte.
    »Terry, du wirst beim Leichenschmaus deiner eigenen Mutter nicht das Catering übernehmen. Überlass das Julia oder Erica.« Delias Stimme klang so herablassend und laut wie üblich. Auch heute Morgen trank sie ihren Kaffee schwarz mit einem Extralöffel Überheblichkeit.
    »Den Teufel werde ich tun!« Mom schrie beinahe. »Ich lasse nicht die ganze Familie herfliegen, damit sie am Sarg meiner Mutter pappige Kanapees essen!«
    »
Unserer
Mutter.«
    Mom lachte schrill. »Du bist unerträglich!«
    Ich hatte nicht die geringste Lust, jetzt dort hineinzugehen.Vielleicht konnte ich das Auto einfach stehlen, während die beiden sich stritten. Vielleicht würde Dad mich fahren. Ich schlich in die Küche und sah, wie Dad seinen letzten Schluck Kaffee trank und sich die Brieftasche in die hintere Hosentasche steckte. Er sah zutiefst bekümmert aus.
    »Dee, geht es dir gut?«
    Der dämliche Kloß steckte mir immer noch im Hals. »James …«, brachte ich erstickt hervor.
    »Delia hat es uns gesagt.«
    Klar. Und wahrscheinlich hatte sie dabei unentwegt gelächelt. Ich fragte mich, ob diese Frau überhaupt eine Seele besaß. »Ich will nach ihm suchen.«
    Dad stellte seinen Kaffeebecher ab und sah mich an. Mir wurde bewusst, dass ich ziemlich durchgeknallt aussehen musste, wie ich mit weit aufgerissenen Augen und dem zerknitterten Briefumschlag in der Hand vor ihm stand. »Dee, ich habe eben mit seinen Eltern gesprochen. Sie haben gesagt, er sei tot«, sagte er mit sanfter Stimme.
    »Sie haben seine Leiche noch nicht gefunden.« Ich wusste, dass ich mich anhörte wie ein trotziges Kind, aber ich konnte nicht anders. »Ich will nach ihm suchen.«
    »Dee.«
    »Bitte bring mich da hin. Lass mich nur das Auto sehen.«
    Mitleid stand in Dads Augen. »Dee, das solltest du wirklich nicht sehen. Glaub mir. Lass die Polizei ihre Arbeit machen.«
    »Peter hat gesagt, dass sie schon im Fluss suchen! Also suchen sie ihn eigentlich gar nicht mehr, nicht richtig! Er ist mein
bester Freund
, Dad. Du brauchst mich nicht zu beschützen!«
    Dad schüttelte nur den Kopf und sah mich traurig an.
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Meine Eltern hatten mir noch nie etwas verweigert – weil ich noch nie um etwas gebetenhatte. Wenn ich den Führerschein und ein eigenes Auto gehabt hätte, wäre ich längst unterwegs gewesen. »Ich hasse es, wie ein Kind behandelt zu werden! Ich hasse das!«
    Ich stürmte nach draußen, setzte mich auf die Treppe vor der Hintertür und zupfte an einem Faden am Saum meiner Jeans herum. Es erschien mir grundverkehrt, dass der Himmel so blau war und sich die Sommersonne auf meiner Haut so gut anfühlte – als könnte ich mich dazu verleiten lassen, diesen Tag für einen gewöhnlichen Sommertag zu halten. Das war er nicht. Sommertage würden nie wieder so sein wie früher.
    Ich konnte nicht einfach hier herumsitzen.
    Ich holte mein Handy heraus und ging die Liste der beantworteten Anrufe durch, bis ich Saras Nummer fand. Ich zögerte nur eine Sekunde lang, ehe ich die Taste drückte.
    »Ja?« Dieses eine gedehnte Wort in Saras Stimme holte mich in die Wirklichkeit zurück.
    »Hier ist Dee.«
    »Meine Güte, Dee, ich hab’s schon gehört. Das von James Morgan, mein ich. O Gott, es kam sogar in den Nachrichten! Das tut mir
so
leid.«
    Seltsamerweise brachten mich ihre mitfühlenden Worte den Tränen näher als alle anderen, die ich bisher an diesem Tag gehört hatte. Ich schluckte die Tränen hinunter. »Ich glaube nicht, dass es ein Unfall war.«
    »Oh – Moment – was? Glaubst du, er war betrunken?«
    »Nein. Ich glaube, die Feen haben das getan.«
    Eine Pause entstand, und ich fürchtete schon, sie wäre zu der Überzeugung gelangt, dass Sommersprosse nur ein etwas schräger Typ war. Dann sagte sie: »Scheiße. Das gibt’s doch nicht. Im Ernst?«
    Erleichterung durchflutete mich. »Im Ernst. Sie haben die Leiche noch nicht gefunden, also könnte er noch am Lebensein. Ich will ihn suchen, aber meine Eltern stellen sich so …«
    »… bescheuert an. Ja, klar. Kann ich mir denken. Eltern nerven.«
    Ich nahm meinen Mut zusammen. »Ich wollte dich fragen, weil du doch einen Führerschein hast, ob …«
    Sara überraschte mich, indem sie auch diesen Satz für mich beendete. »Gib mir zwei Sekunden. Wo wohnst du? Okay. Ich muss sowieso hier raus, sonst werde ich noch verrückt. Ich bin in zwei Sekunden da. Versprochen.«
     
    Die zwei Sekunden waren in Wirklichkeit zwanzig Minuten, aber Sara kam. Sie hielt am

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