Lamento
Kiefer, und als er fiel, schoss Unas Hand hervor und fing ihn auf, um ihn für später aufzubewahren. Ihr Lächeln kehrte ebenso schnell zurück, wie es verschwunden war, und sie ließ ein helles, wildes Lachen hören. »Ist das nicht absolut
perfekt?
«
Ich schniefte. »Du machst das besser als ein Mensch.«
Ihre
Nase war bestimmt nicht verstopft.
Sie sprang erschreckend plötzlich von ihrem Baumstamm und flatterte um mich herum, so dicht, dass ich einen Hauch von ihrem Duft erhaschte: würzig-scharf und süß zugleich, der Geruch eines wilden Geschöpfs. »Ich weiß, wonach du suchst«, flüsterte sie mir ins Ohr.
Ich vermied es sorgsam, das blutbespritzte Handy anzusehen, und schluckte. »Und weißt du auch, wo
es
ist?«
Sie lachte, sprang wieder auf den umgestürzten Baumstamm, huschte darauf entlang und wirbelte dann wieder zumir zurück. »Das ist ja alles so fürchterlich poetisch. Ich kann kaum erwarten, es zu singen. In Moll, denke ich.«
Ich hätte sie erwürgen mögen. Konnte sie es mir nicht einfach
sagen?
Unter Aufbietung all meiner Willenskraft zügelte ich meine Ungeduld. »Würdest du es mir jetzt gleich vorsingen?«
Una senkte mit einem geheimnisvollen Lächeln den Kopf. »Kommst du dann und lebst für immer bei mir?«
Es war nur allzu leicht, zu vergessen, dass sie ebenso gefährlich war wie Sommersprosse. »Das hört sich sehr schön an, aber ich glaube, lieber nicht. Gibt es nichts anderes, wofür du es mir vorsingen würdest?«, erwiderte ich höflich.
Sie sah mich an. »Nein, dummes Menschenkind. Ich werde es dir schenken, weil Brendan sich sehr darüber ärgern wird, wenn er das erfährt.« Mit zwei großen Schritten war sie wieder neben mir und flüsterte mir halb singend ins Ohr:
Fort in den Eichen, fort unter der Erde
Rinnt das Blut des Pfeifers
Tropft das Blut des Galloglass
Zu Pfützen, darauf die Zukunft schimmert.
Dem Galloglass gebietet sie
Seine Liebste zu töten.
Dem Pfeifer befehlet sie:
»Töte deinen Schatz.«
Die Melodie und ihre Stimme hielten mich gefangen und fest umschlungen. Es verschlug mir die Sprache.
Una schnalzte missbilligend mit der Zunge und schnippte mit den Fingern vor meinem Gesicht. »Die kleinste Melodie berauscht dich, du Schöne. Wie willst du deine Geliebten zurückholen,wenn du deine Sinne nicht besser hütest? Du wirst mich wohl doch noch enttäuschen, nicht?«
Ich blinzelte, noch immer leicht benommen vom Bann ihrer Stimme. »Sie sind nicht beide meine Geliebten. Ich meine,
keiner
von ihnen ist mein Liebhaber. Ich meine …« Ihr Lied verlor allmählich seine Magie, und die Bedeutung ihrer Worte drang zu meinem Verstand durch. »Willst du damit sagen, dass sie nicht tot sind?«
Una zuckte mit den Schultern und vollführte einige lange Ballettsprünge über den Farn hinweg, ehe sie sich umwandte und sich verbeugte, als hätte sie etwas Beeindruckendes geleistet. »Noch nicht!«
Mit einem Mal konnte ich wieder atmen. Es war, als hätte ich seit dem Augenblick, als ich Lukes Handy und die Blutstropfen entdeckt hatte, nicht mehr richtig Luft bekommen. Doch nun atmete ich tief durch.
Sie leben, sie leben,
frohlockte eine Stimme in meinem Innern.
»Dann hat
sie
sie. Die Königin, meine ich.«
Mit langsamen, stelzenden Schritten kam Una zurückgetänzelt und blieb wenige Zentimeter vor mir stehen. Ihre Finger näherten sich meinem eisernen Schlüssel, weiter, immer weiter, bis sie ihn beinahe berührte. Sie beugte sich vor und sprach in mein Ohr, so nah, dass ihr Gesicht mein Haar streifte. »Mittsommer naht«, sagte sie mit einer Mischung aus boshafter Freude und Ernsthaftigkeit. »Siehst du, wie mächtig wir werden? Bald wird der Jäger selbst dich berühren können. Bald wird Aodhan, der Schändlichste der Schändlichen, dich verderben, wie er alles verdirbt, was seine Finger erreichen können. Sie könnten dir deine Lieder nehmen und sie so tief in sich selbst verbergen, dass du nie merken würdest, was du verloren hast. Sie werden mit dir spielen, bis du lächelnd den Tod willkommen heißt.«
Ich erstarrte. Mir war nur zu bewusst, wie gefährlich sie war, dieses wilde, unmenschliche Geschöpf, das mir nah genug kam, um die getrockneten Tränen auf meinen Wangen zu sehen.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie ihre Lippen sich zu einem hinreißenden Lächeln verzogen. »
Dies
wäre ein wunderbarer Anlass, mich um diesen Gefallen zu bitten, den ich dir versprochen habe. Für deine Träne.«
Sie zog sich zurück und musterte mich, wie ich
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