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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Ende der Einfahrt, wie ich sie angewiesen hatte, und ich rannte hinaus zu ihrem alten Ford Taurus, ehe meine Eltern etwas mitbekamen. Nach ein paar Kilometern blieben wir stehen, studierten den fleckigen alten Straßenatlas, der auf dem Rücksitz lag, und fuhren mit den Fingern die Nebenstraßen entlang, die uns zum Unfallort bringen würden.
    »Das ist ja mitten in der Pampa. Was wollte er denn da draußen?«, fragte Sara. Ich hatte keine Ahnung. In betretenem Schweigen ließen wir die Stadt hinter uns und fuhren über die endlosen Nebenstraßen Virginias, die alle gleich aussahen: schmale, gewundene Wege unter einem dichten Blätterdach, durch das hier und da die Sonne funkelte und ein Stück leuchtend blauen Himmels blitzte. Es war kaum zu glauben, dass an einem so schönen Tag irgendetwas Schlimmes geschehen konnte.
    Ich ließ mich auf dem Beifahrersitz zurücksinken und probierte sämtliche Menüpunkte in meinem Handy aus. Beantwortete Anrufe, entgangene Anrufe, gewählte Rufnummern. Mailbox, SMS-Eingang. Die Buchstaben verschwammen mir vor den Augen, und mein aufgewühlter Verstand erkanntenichts als bedeutungslose Wortketten. Plötzlich hielt ich inne und starrte dumpf die Nachricht an, zu der ich unbewusst geblättert hatte.
d. ich liebe dich.
    Ich blinzelte gegen Tränen an. Ich musste ruhig bleiben.
    »Danke, dass du mich hinfährst«, sagte ich schließlich, um das Schweigen zu brechen.
    Sara schien erleichtert zu sein. »Klar, kein Thema. Ich meine, mal ernsthaft, wo lag denn das Problem für deine Eltern?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung … meine Großmutter ist gestern Abend auch gestorben.«
    »Wow. Beschissenes Timing.« Sara blieb vor einem Stoppschild stehen und spähte in beide Richtungen.
    Ich schluckte, denn der Kloß steckte immer noch in meiner Kehle. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte.
    »Ich finde es nett von dir, dass du deswegen traurig bist«, sagte Sara.
    Ich sah sie mit fragend erhobenen Augenbrauen an. Ich war nicht gekränkt, doch diese Bemerkung kam mir so dumm vor.
    »Meine Großmutter – die eine, die ich noch habe … sie ist unsichtbar.« Sara zuckte mit den Schultern. »Als käme sie von einem anderen Planeten. Sie sieht sich keine Filme an, sie hat keine Ahnung von der Musik, die ich höre. Wir reden übers Wetter und so dämliches Zeug, weil ich nicht weiß, ob sie sonst irgendwas sieht und hört. Neulich habe ich an sie gedacht und gemerkt, dass ich mich an kein einziges Kleidungsstück erinnern kann, das sie je anhatte. Wie übel ist
das
denn? Ich fühle mich mies, weil ich nichts für sie empfinde, aber es ist so … so, als wäre sie schon tot. Die Welt hat sich verändert und sie stehen gelassen.«
    Das war das persönlichste Gespräch, das wir je geführt hatten. Ich hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, um in diesem entscheidenden Augenblick eine Freundschaft zu schließen, die uns für immer miteinander verbinden würde. Aber mir fiel nichts ein. »Da bekommt man Angst davor, alt zu werden, was?«, bemerkte ich schließlich, viel zu spät.
    »Und hässlich. Ich meine, wenn ich zu hässlich werde, um einen Minirock anzuziehen, erschieß mich bitte.«
    Ich gab ein halbherziges Lachen von mir. Sie ebenfalls.
    Dann sah ich ein Schild vor uns. »Ich glaube, da ist es.« Sara rauschte prompt an der Abzweigung vorbei und musste wenden. Dann fuhren wir eine schmale, düstere Straße namens
Dun Lane
entlang.
    Wir tauchten in die Dunkelheit des dichten Blätterdachs ein, das wie ein riesiger grüner Tempel über uns aufragte. Ich wusste nicht, wo James seinen Auftritt gehabt hatte, konnte mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb er eine so abgelegene Straße entlanggefahren sein sollte.
    »Das Auto haben sie sicher schon abgeschleppt. Wir müssen nach der Stelle suchen, wo der Unfall passiert ist.«
    Das war die längste Minute meines Lebens. Ich suchte die grünlich-braune Düsternis nach einem Bild der Zerstörung ab, nach einem Zeichen dafür, dass alles, was ich gekannt hatte, für immer verloren war. Und als Sara neben einem Baum anhielt, der genau wie die anderen mächtigen Eichen am Straßenrand aussah, konnte ich nicht sagen, woran sie die Stelle erkannt hatte.
    Sie stellte den Motor ab. »Ist es okay, wenn ich im Auto bleibe? Wenn ich Blut sehe, kippe ich um.«
    Ich nickte. »Schon gut.«
    Ich stieg aus dem Auto und blieb am unbefestigten Straßenrand stehen. Der Geruch von nassen Blättern und Wald stiegmir in die Nase. Im

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