Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
mich. »Deirdre.« Der Blick glitt meinen Arm hinab zu meiner Hand in Lukes und wurde hart. Mit zwei Schritten hatte sie den Raum durchquert und entriss Luke meine Hand.
    »Mom!«
    Aber Mom hielt meine Hand eisern fest, hob sie hoch und starrte auf meine Finger. »Du trägst Grannas Ring. Das ist ihrer.«
    Der Ausdruck auf ihrem Gesicht machte mir Angst, und ich zog meine Hand zurück. »Sie hat ihn mir zum Geburtstag geschenkt.«
    »
Du
trägst ihren Ring«, wiederholte Mom. »Du hast ihn schon die ganze Zeit getragen, bevor sie ins Koma gefallen ist.«
    Ich wich vor dem wilden Blick dieses Geschöpfs zurück, das irgendwie den Platz meiner Mutter eingenommen hatte. Lukes Hand in meinem Rücken verlieh mir Mut. »Sie hat ihn mir geschenkt, Mom. Hier draußen, in der Einfahrt.«
    Mom zeigte wortlos und mit zitterndem Finger darauf, dann ballte sie ihre Hand zur Faust. Schließlich spie sie mir die Worte förmlich ins Gesicht. »Sie ist tot.«
    Es war seltsam. Ich dachte an das Gefühl, das ich empfinden sollte, ohne es zu fühlen, so unbeteiligt wie ein Forscher im Auftrag von
National Geographic
, der Ereignisse beobachtet und sie sorgfältig in einem Notizbuch festhält.
Deirdre ist traurig über die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter, zudem fürchtet sie auf einmal um den Rest ihrer Familie und ihre Freunde.
    Aber ich
fühlte
all das nicht richtig. Ich wusste, was ich empfinden sollte, empfand aber absolut nichts, als wäre ich gerade in die Küche gekommen und Mom hätte mich getadelt, weil ich so spät dran war.
    »Hast du mich gehört?« Mom schien nicht einmal zu bemerken, dass Luke auch da war. »Sie ist tot. Das Krankenhaus hat angerufen. Dein Vater spricht gerade mit dem Arzt.«
    »Wie …?«, brachte ich schließlich hervor.
    Moms Stimme zitterte. »Spielt das eine Rolle?«
    »Terry?«, hörte ich Dads Stimme tief und beruhigend von nebenan. »Könntest du kurz herkommen?«
    Mom eilte hinaus. Ohne ihre hektische Gegenwart kam mir die Küche leer und still vor. Ich wollte Luke nicht ansehen. Ich wusste nicht, warum. Vielleicht, weil er mir ins Gesicht schauen und sehen würde, dass da keine Tränen waren, und dann würde er mich für einen schrecklichen Menschen halten. In meiner Tasche piepste das Handy – eine SMS. Es konnte ja nicht wissen, dass dies kein gewöhnlicher Abend und respektvolles Schweigen angesagt war.
    Luke ergriff meinen Arm und drehte mich herum. »Du kannst später weinen, Dee. Die Tränen werden noch kommen.« Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich muss herausfinden, woran sie gearbeitet hat. Es war irgendetwas, das deine Familie schützen sollte. Wenn ich kann, bringe ich es her.«
    Trauer konnte ich offenbar nicht empfinden, aber nun stieg Angst in mir auf. »Geh nicht. Bitte geh nicht.«
    »Das sagst du jetzt, aber wie würdest du dich fühlen, wenn das Krankenhaus als Nächstes anruft, weil dein Vater tot ist?« Er hob mein Kinn sacht mit dem Finger an. »Das dachte ich mir.«
    Tränen brannten mir in den Augen, aber aus dem verkehrten Grund. Ich ließ zu, dass er mich küsste und an sich drückte, ehe er durch die Hintertür verschwand.
    Im Nebenzimmer hörte ich meine Eltern streiten. Dad sprach mit seiner üblichen leisen Stimme, aber Mom schrieihn an. Ich stand allein in der Küche und holte das Handy aus meiner Tasche. Eine neue Nachricht.
    Die SMS war von James, und wie es bei der Hälfte meiner Nachrichten passierte, war sie viel zu spät bei mir angekommen – er hatte sie schon vor drei Stunden geschickt.
    Ich öffnete die Nachricht.
d. ich liebe dich.
    Ich sank auf den Küchenfußboden, barg den Kopf in den Händen, hörte zu, wie meine Mutter meinen Vater anschrie und fragte mich, wann der Schmerz endlich einsetzen würde.
    Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und wählte James’ Nummer, wobei ich überlegte, was ich sagen sollte. Es klingelte und klingelte, bis ich seine Stimme hörte:
Dies ist die Mailbox von James. Durch das Wählen dieser Nummer hast du zehn Coolness-Punkte gewonnen. Weitere zehn Punkte erhältst du, wenn du nach dem Piepton eine Nachricht hinterlässt. Ciao.
    Ich legte auf. Ich war noch nie bei seiner Mailbox gelandet – ganz gleich, zu welcher verrückten Uhrzeit, egal, wo er war, er war immer drangegangen.
    Ich fühlte mich allein gelassen.

Buch Vier
     
     
     
     
     
    In den Krieg ist der junge Barde gezogen –
    In den Reihen des Todes findet ihr ihn.
    »T HE M INSTREL B OY «

Sechzehn
     
     
     
     
     
    Ich hatte

Weitere Kostenlose Bücher