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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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eröffnet. Eine Sekunde später brachen weiße Leiber durchs Gebüsch, und ich hörte Tontöpfe klirren. Inzwischen hatte ich die Wiese hinter dem Nachbarsgarten erreicht, zertrat kühle Grashalme unter meinen Füßen und beschleunigte mein Tempo, als mir der Anblick der von Bäumen gesäumten Straße jenseits der Wiese neue Kraft verlieh.
    Die Sonne brannte auf mich herab, während ich durch das hüfthohe Timotheegras preschte. Wieder hob das schrille Heulen an, langgezogen und nasal, eher wie die Laute eines Vogels als eines Hundes. Nun begannen die bulligen Mastiffs tief und melodisch zu bellen. Im Laufen riss ich mir den Pulli herunter und fühlte mich gleich leichter und schneller.
    Aber die Hunde holten auf. Ich würde es nie bis zur Straße schaffen, geschweige denn auf die Kuhweide. Ich hörte, wie sie dicht hinter mir durchs hohe Gras stürmten.
    Ich bin schneller
, dachte ich.
Jagdhunde sind schnell, aber ich bin schneller.
    Und so war es. Ich sprang über das verfilzte Gestrüpp amRand der Wiese und auf die sonnige Straße dahinter. Die Hunde waren immer noch hinter mir, aber sie hatten mich nicht eingeholt. Allmählich brannte die Luft in meinen Lungen, und meine Knie schmerzten. Meine Füße klatschten hart auf den Asphalt, während ich immer wieder verstohlene Blicke auf die Weide rechts von mir warf. Ich suchte nach irgendetwas, das Unas glühender Vision von Tom dem Reimer ähnelte. Vor mir lag die Stelle, wo ich Luke damals in seinem Auto gefunden hatte; irgendwo hier musste es sein.
    Ich blickte hinter mich, wünschte jedoch sogleich, das hätte ich gelassen; eine Wand weißer Hunde zog sich über die gesamte Breite der Straße und raste wie eine Flutwelle auf mich zu, dicht gefolgt von dem grün gekleideten Jäger mit dem zweifarbigen Haar.
    Bitte sei da. Tom der Reimer, sei da.
Wenn ich ihn auf der Kuhweide fand, musste das eigentlich nicht zwingend bedeuten, dass alles in Ordnung war, aber so
würde
es sein. Denn ich hatte gesehen, wie nah Una dem Schlüssel kommen konnte. Ich wollte mir nicht vorstellen, was hundert Hunde mit ihrer frisch gewonnenen Mittsommerkraft anrichten konnten.
    Japsend erreichte ich den Rand der Kuhweide und hoffte auf Stacheldraht, der die Hunde zumindest aufhalten könnte, aber die Weide war von einem Holzzaun umgeben. Ich fluchte innerlich auf die Bezirksvorschriften, die hässliche Zäune verboten. Ich kletterte über den Zaun, langsamer, als mir lieb war, und plötzlich sah ich den sanft abfallenden Hang der Weide – den Hügel aus Unas Vision.
    Hinter mir prallten die Hunde gegen die Zaunlatten. Einige leichtere setzten mit einem einzigen Sprung darüber.
Ich bin schneller. Ich werde Tom finden. Und dann werde ich in Sicherheit sein
, wiederholte ich im Geiste.
    Ich rannte den Hügel hinauf. Meine Muskeln protestierten,während die Hunde hinter mir her hetzten. Ich hatte gerade noch Zeit, einen leicht unregelmäßigen Kreis aus Pilzen zu bemerken, der auf der Hügelkuppe wuchs, ehe Pfoten an meinem Bein kratzten.
Das war’s.
    Ich sprang über die Pilze. Stille.
    Nein, es war nicht vollkommen still. Es war eher so, als hätte ich mir Stöpsel in die Ohren gesteckt. Das frustrierte Geheul der Hunde war nicht verschwunden, sondern klang nur gedämpft und wie aus weiter Ferne. Ich blickte hinter mich, über den Ring der Pilze hinweg, und sah nur die ausladende, sanft zur Straße hin abfallende Weide. Wenn ich mit zusammengekniffenen Augen dorthin starrte, wo die Hunde sein mussten, weil ich wusste, dass sie da waren, glaubte ich, vage Umrisse in hell und dunkel zu erkennen.
    »Du verstehst es wirklich, dir einen großen Auftritt zu verschaffen, was?
Sie
hat auch ein beeindruckendes Gefolge, aber bei weitem nicht so behaart wie deines.«
    Ich wusste, wen ich sehen würde, noch bevor ich mich umdrehte. Wie in Unas Vision hatte Tom der Reimer langes, lockiges Haar und Lachfältchen um die Augen. Er war groß und mager und trug ein fast knielanges, buntes Hemd mit Dutzenden von Knöpfen über einer hautengen Lederhose. Er saß im Schneidersitz auf dem Boden, sein langer Nachmittagsschatten reichte über den Kreis der Pilze hinaus, und er blickte ruhig zu mir auf.
    »Du bist da«, keuchte ich erleichtert.
    Er lächelte mich verwundert an. »Natürlich bin ich da.
Du
auch.«
    »Du weißt, wer ich bin?«
    »Deirdre Monaghan. Wir alle kennen jetzt deinen Namen.« Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er gefährlich sein könnte. »Selbst wenn ich dein Gesicht nicht erkennen

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