LaNague 03 - Der Staatsfeind
auffassen sollte, sah von LaNague auf den Baum. Er stand in einem dunkelbraunen, kunstvoll gefertigten Tonkübel aus Fukuroshiki-Bachi und war nicht größer als die Spanne eines Männerarms, von der Spitze des Mittelfingers bis zur Spitze des Ellbogens gemessen. Seine Blätter sahen aus wie schmale, fünffingrige Farnwedel, deren Ränder mit winzigen Blättchen gesäumt waren, und breiteten sich wie ein zartgrüner Schirm über den ganzen Kübel aus. Der leicht gebogene Stamm verlieh dem Baum ein Gesamtbild von Ruhe und Frieden.
Ein häßlicher Gedanke kam Broohnin in den Sinn, der ihm immer mehr gefiel, je länger er darüber nachdachte, und der ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte. Er wußte, daß er LaNague physisch überlegen war, und da keine Flinter mit an Bord waren, gab es keinen Grund mehr für ihn, den Tolivianer noch zu fürchten.
»Was würden Sie tun, wenn ich Ihren hübschen kleinen Baum aus der Erde reiße und ihn in einen Haufen Holzsplitter zerbreche?«
Mit kalkweißem Gesicht fuhr LaNague aus seinem Sessel auf. Als er aber sah, daß Broohnin keine Anstalten machte, seine Drohung in die Tat umzusetzen, ließ er sich wieder zurückfallen.
»Ich würde trauern«, entgegnete er heiser, und seine Stimme zitterte vor – was? Vor Furcht? Oder vor Zorn? Broohnin konnte es nicht mit Sicherheit sagen. »Vielleicht würde ich sogar weinen. Ich würde die Überreste verbrennen, und dann … Ich weiß nicht, was ich tun würde. Ich würde Sie wohl am liebsten umbringen, aber ich weiß nicht, ob ich es fertigbrächte.«
»Sie wollen nicht, daß Metep ermordet wird, aber mich würden Sie wegen so eines kleinen, idiotischen Baumes umbringen?« Broohnin wollte den anderen laut auslachen, aber die Kälte in LaNagues Stimme hielt ihn davon ab. »Sie könnten sich einen neuen Baum besorgen.«
»Nein, das könnte ich nicht. Es gibt nur einen Pierrot.«
Broohnin blickte auf den Baum und bemerkte überraschend die Veränderung, die mit der Pflanze vorgegangen war. Die fingerähnlichen Blätter hatten sich dicht zusammengezogen, und der Stamm war jetzt so gerade wie ein Laserstrahl.
»Sie haben Pierrot erschreckt. Deshalb auch die Chokkan- Struktur«, sagte LaNague vorwurfsvoll.
»Vielleicht werde ich Sie in einen Haufen Splitter zerbrechen«, erwiderte Broohnin, während er sich von dem seltsamen kleinen Baum abwandte, der seine Form mit seiner Stimmung veränderte, und den Blick wieder auf LaNague richtete. »Jetzt sind keine Flinter da, die Ihnen Ihre Drecksarbeit abnehmen … niemand würde mich aufhalten … ich könnte Ihnen das Genick brechen … ich würde jede Sekunde auskosten.«
Er sagte dies nicht nur, um LaNague zu erschrecken. Es verschaffte ihm einfach eine gewisse Befriedigung, den anderen zu verletzen, ihm Schmerzen zuzufügen, ihn zu töten. Manchmal überkam Broohnin plötzlich der Wunsch, irgend etwas oder alles zu zerstören. Dann baute sich in seinem Innern ein schier unerträglicher Druck auf, der um jeden Preis herausgelassen werden wollte. In solchen Fällen, wenn der innere Druck unerträglich wurde, pflegte er in die armseligsten Straßen der Dolee-Bezirke zu gehen und irgendeinen armen Zemmelarsüchtigen herauszufordern, ihn wegen ein paar Mark anzugreifen. Das anschließende Handgemenge war kurz, unbarmherzig und wurde von niemandem bemerkt. Danach fühlte sich Broohnin gewöhnlich besser. Im Augenblick hielt ihn nur das Torportal in seinem Körper davon ab, LaNague an die Kehle zu springen.
»Ja, das glaube ich Ihnen sogar«, meinte LaNague gleichgültig. »Aber es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie damit warten würden, bis wir wieder auf dem Rückflug sind. Vergessen Sie nicht, wir befinden uns auf dem Weg zum Sonnensystem. Sie würden hier in Verwahrung genommen und den Kriminalbehörden übergeben werden, sobald wir die Erdzone erreicht haben. Und die Kriminalbehörden auf der Erde arbeiten ausschließlich mit Psycho-Rehabilitation.«
Plötzlich löste sich die in Broohnin aufgestaute Wut in Nichts auf und machte einem eisigen Kältegefühl Platz. Psycho-Rehabilitation begann mit dem Löschen der Persönlichkeit und endete mit dem Übertragen einer neuen Persönlichkeit.
»Dann werde ich eben warten«, antwortete er und hoffte, daß sich die Bemerkung nicht so müde anhörte, wie er sich fühlte. Ein langes, peinliches Schweigen breitete sich aus – peinlich allerdings, wie es schien, nur für Broohnin.
»Was unternehmen wir zuerst, wenn wir die Erde erreichen?«
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