LaNague 03 - Der Staatsfeind
produzieren, woher sollen sie das Getreide also sonst beziehen?«
»Sie haben eine neue Proteinquelle entwickelt … und außerdem müssen nicht mehr so viele Menschen wie früher ernährt werden«, erklärte LaNague, der sich jetzt in seinem Stuhl zurücklehnte. Die Verschmutzung der Meere auf der Erde hatte vor sehr langer Zeit dazu geführt, daß sie als Nahrungsquelle ausgeschlossen werden mußten. Die Menschheit mußte essen, was auf dem Land und den Lagerfarmen angebaut wurde. Aber als die Bevölkerungskurve immer steiler anstieg, zwar gelegentlich langsamer, aber ohne insgesamt von ihrem Aufwärtstrend abzuweichen, wurde das Ackerland immer weniger. Als die Zahl der hungrigen Münder größer und größer wurde und immer mehr Platz beanspruchte, sah sich das Ministerium für Landwirtschaft gezwungen, immer größere Erträge aus immer weniger Land zu pressen. Von der synthetischen Nahrung, die man als Ausweg schließlich anbot, wollte die Bevölkerung nichts wissen, und schmackhafte Produkte konnten nicht in ausreichend großer Menge erzeugt werden.
Und dann wurde das Außenwelten-Handelsnetz gebildet. Die Kolonien wurden herangezogen und in riesige Farmen verwandelt. Da ein ganzer Ring von Getreidebehältern fast genauso billig wie die einzelnen Container befördert werden konnten, begann man mit den Kettentransporten, und es schien, als hätte man endlich eine befriedigende Lösung gefunden.
Eine Zeitlang lief alles wie geplant. Aber dann kam die Revolution der Außenwelten, und alles wurde anders. Das Sonnensystem bekam zwar immer noch Getreide von den Außenwelten, aber zum üblichen Marktpreis. Wirtschaftlich und finanziell zu erschöpft, um neue Farmkolonien zu gründen, konzentrierte sich die Erde nach innen und begann, erst einmal Ordnung im eigenen Heim zu schaffen.
Der erste Schritt dazu war die genetische Registrierung. Wer an einem Schaden des Genotypus – und dazu zählten auch potentielle Schäden – litt, einschließlich unzähliger rezessiver Anlagen, wurde sterilisiert. Das Protestgeschrei war natürlich groß, aber diesmal ließ sich die Erdenregierung nicht beirren. Sie gab dem neu gebildeten Ministerium für Bevölkerungskontrolle Polizeigewalt und erwartete, daß davon auch Gebrauch gemacht wurde.
An Arna Miffler wurde dann ein Exempel statuiert. Sie war eine Frau, die laut vorhergehender Untersuchungen frei von defektiven Anlagen war. Arna Miffler war jung, kinderlos, unverheiratet und eine große Idealistin. Sie startete eine Protestkampagne gegen das Ministerium für Bevölkerungskontrolle und seine Politik, die zu Beginn sehr erfolgreich war und viele Anhänger fand. Dann veranlaßte das Ministerium eine erneute Untersuchung des Genotypus von Arna Miffler, bei der sich eine Anlage zu einer der seltenen Störungen der Mucopolysaccharide ergab. Sie wurde eines Abends zu Hause festgenommen und in eine Klinik des MBKs gebracht. Als sie am nächsten Morgen entlassen wurde, war sie steril.
Die Rechtsanwälte, Genetiker und Aktivisten, die ihr zur Hilfe kamen, mußten schon sehr bald feststellen, daß auch ihre eigenen Genotypen und die ihrer Familien genauestens untersucht wurden. Und als dann schließlich einige von Arnas Anhängern in die MBK-Klinik gezerrt und sterilisiert wurden, kam die Bewegung ins Stocken, wurde schwächer und erstarb dann ganz. Es wurde offensichtlich, daß das Ministerium für Bevölkerungskontrolle Macht besaß und sich nicht scheute, sie auch einzusetzen. Der Widerstand wurde nur noch zu einem unterdrückten Flüstern.
Er brach jedoch wieder an die Oberfläche, als der nächste Schritt angekündigt wurde: Die Fortpflanzung wurde auf den Status quo eingeschränkt. Zwei Menschen durften nur zwei neuen Menschen das Leben schenken. Ein Mann durfte zwei Kinder zeugen, mehr nicht; eine Frau durfte zwei Kinder gebären oder die entsprechenden Eizellen für zwei Kinder bereitstellen, mehr nicht. Nach der Geburt des zweiten Kindes mußten sich beide, Mann wie auch Frau, freiwillig zur Sterilisierung melden.
Die Meldung zur Sterilisierung nach Geburt des zweiten Kindes war so freiwillig wie das freiwillige Steuersystem der Erde: füg’ dich, sonst passiert was! Der Genotypus jedes neugeborenen Kindes wurde in einen Computer eingegeben, der den genetischen Beitrag jedes Elternteils analysierte. Wies die Analyse dann auf die Existenz eines zweiten Kindes aus ein und demselben Genotypus hin, wurde die Nummer der bestimmten Person registriert, und der- oder diejenige
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