LaNague 03 - Der Staatsfeind
Geräusch unterbrach ihn mitten im Satz. Es kam aus menschlichen Kehlen, aber es war verzerrt, und die einzelnen Worte waren nicht verständlich, weil sich zahlreiche Stimmen überschnitten. Ihr Ursprung ließ sich ebenfalls nicht feststellen … Sie schienen von überall herzukommen und sie einzuhüllen wie Nebelschleier. Eins aber drang mit unverwechselbarer Deutlichkeit zu den beiden Männern vor, und das war die Emotion, die hinter den Geräuschen steckte: Wut.
Um sie herum setzten sich die Menschen in Bewegung und flohen auf ihre Häuser zu. Kinder wurden von der Straße weg in die Eingänge der Gebäudekomplexe gezerrt, und augenblicklich schlossen sich hinter ihnen die Türen. LaNague stürzte auf die Tür eines Bekleidungsgeschäftes links von ihnen zu, aber sie glitt zu, bevor er sie noch erreicht hatte und wurde auch auf sein mehrmaliges Klopfen hin nicht mehr geöffnet. Plötzlich schien die Vorderseite des Ladens zu verschwinden, und LaNague sah sich statt dessen einer nackten Wand aus Kunststein gegenüber. Es sah so aus, als versuchte er, durch eine feste Wand in das Gebäude hineinzugelangen.
»Was geht hier vor?« brüllte Broohnin, während das Murmeln der Stimmen immer lauter wurde. Inzwischen konnte er die Richtung ausmachen, aus der sie kamen. Es mußte irgendwo nördlich von ihnen sein, und die Menschenmenge näherte sich ihnen offensichtlich sehr schnell.
»Verpflegungsaufstand«, kommentierte LaNague, der zu Broohnin zurückgekehrt war. »Und es hört sich ganz so an, als sei eine ganze Menge Leute daran beteiligt. Wir müssen hier raus.« Er zog einen Referenzcomputer von der Größe einer Spielkarte aus seiner Westentasche und tippte einen Code ein. »Bis zum Parkhaus ist es zu weit, aber soweit ich weiß, muß hier ganz in der Nähe ein Kyfho-Viertel sein.« Der Computerschirm leuchtete auf und gab die gewünschte Information aus. »Ja! Wir könnten es bis dort schaffen, wenn wir rennen.«
»Warum gerade dahin?«
»Weil uns sonst niemand helfen kann und wird.«
Sie liefen in südliche Richtung. An jeder Straßenkreuzung blieben sie stehen, während sich LaNague anhand seines Ortsanzeigers orientierte. Die Geschäfte, an denen sie erst Augenblicke zuvor vorbeigekommen waren, schienen plötzlich nicht mehr zu existieren. Hologramme täuschten nackte Steinwände vor, um die Läden vor dem nahenden Mob zu verbergen. Nur jemand, der mit diesem Viertel sehr gut vertraut war, würde in der Lage sein, ihre Position jetzt noch zu bestimmen.
»Sie kommen immer näher«, keuchte Broohnin atemlos, als sie wieder stehenblieben, damit LaNague ihre Position feststellen konnte. In den fast zwanzig Jahren, die er jetzt auf Throne lebte, hatten sich seine Muskeln den im Vergleich zu der Erde rund fünf Prozent geringeren Schwerkraftverhältnissen angepaßt. Die Differenz war bisher kaum von Bedeutung gewesen, weil sich seine körperlichen Aktivitäten auf Herumsitzen, Faulenzen und langsames Gehen beschränkt hatten. Aber jetzt mußte er laufen – und die größere Schwerkraft machte sich unangenehm bemerkbar.
LaNague, der auf der Erde rund sieben Kilo weniger als auf Tolive wog, hatte es da einfacher. »Es ist nicht mehr weit. Wir sollten -«
Der aufgebrachte Mob bog gerade um die nächste Ecke und stürzte sich mit einem Aufschrei vorwärts. Ein leeres, am Straßenrand abgestelltes g-Fahrzeug stoppte die Menschenmenge einen Augenblick in ihrer Bewegung, als einige stehenblieben, um den Wagen in Stücke zu reißen. Mit den abgerissenen Metallfetzen attackierten sie sämtliche Schaufenster, die sie trotz ihrer Tarnung teilweise doch entdecken konnten. Die Scheiben waren ziemlich widerstandsfähig und bruchsicher, so daß die Randalierer sie zuerst durchstoßen und aus ihren Rahmen reißen mußten, bevor sie die Laden stürmen konnten.
LaNague und Broohnin sahen wie gebannt zu, als eine Gruppe Randalierer eine anscheinend aus Kunststein bestehende Wand attackierten. Ihre provisorischen Rammblöcke und Spieße drangen in die Mauer ein und verschwanden darin, als ob sie überhaupt nicht existierte. Und sie existierte in Wirklichkeit ja auch nicht. Mit einem plötzlichen Aufschrei drängten sich die Angreifer in den vordersten Reihen in die projizierte Wand und verschwanden darin. Sie mußten die Bedienung für den Hologrammprojektor sofort gefunden haben, denn die Tarnung verblich, und vor den Augen der jubelnden Menge kam die Ladenfront wieder zum Vorschein … es war ein Möbelgeschäft. Sessel,
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