LaNague 05 - Der Tery
als er sich auf den Weg zum Turm machte. Ja, Kitru wohnte ganz gewiß hier. Und er wußte wohl besser über den Aufenthaltsort des gefangengenommenen Finders Bescheid als der Befehlshaber der ganzen Burg? Vielleicht hatte er Adriel sogar in den Turm werfen lassen, um sie unter besonders sicherer Bewachung zu halten.
Er blickte an der Turmwand hoch. Sie war aus denselben rauhen Steinen wie die Außenmauer erbaut, das Klettern war also kein Problem. Hier und da durchbrachen enge Fenster die Wandfläche; sie schienen ihm breit genug, um ein Eindringen zu erlauben. Er machte sich also an den Aufstieg. Er war erst auf dreifacher Mannshöhe angelangt, als ihn jemand von unten anrief. Er erstarrte und preßte sich fest an die Wand.
»He, du da oben! Was machst du da!«
Die Türen zu den Kasernen der Soldaten flogen auf, und man hörte in der Dunkelheit das Getrappel vieler laufender Füße.
Dieselbe Stimme sprach wieder: »He du! Du kommst da sofort herunter! Meine Armbrust ist auf dich angelegt – los jetzt! Keine Tricks, sonst durchbohre ich dich mit einem Pfeil!«
Der Tery sah das nächstgelegene Fenster nicht weit über sich und machte eine verzweifelte Anstrengung, es zu erreichen. Wie angedroht, schoß die Wache einen Pfeil ab. Er streifte das Ohr des Tery und bohrte sich neben seinem Gesicht in die Wand. Bruchstücke von Stein und Mörtel flogen ihm in die Augen. Er zuckte zurück, verlor dabei seinen unsicheren Halt und fiel. Er landete auf allen vieren, aber wußte nicht, wohin er flüchten sollte – hinter ihm war die Mauer, und vor ihm standen zwei volle Abteilungen Soldaten mit gezogenen Waffen.
»Hol doch mal jemand ein Licht, damit wir sehen können, wen wir hier haben!«
Eine Fackel war schnell herbeigeschafft; die Soldaten prallten vor Verblüffung zurück, als sie erkannten, wer ihr Gefangener war.
»Das ist ja eins von diesen verdammten Viechern!« rief ein stämmiger Wachtposten, der eine Lanze hielt. Er legte die Lanze auf den Tery an, der sich darauf konzentrierte, rasch auszuweichen. »Mit dem mach ich Schluß -«
»Halt!« rief eine Stimme aus dem Hintergrund, und die Soldaten drehten sich um, weil sie sehen wollten, wer es ihnen vorzuschreiben wagte, einen Tery zu verschonen. Ein junger Mann in Zivilkleidung trat in befehlsgewohnter Manier in ihre Mitte: es war Dennel.
»Wer bist du, daß du dir anmaßt, hier Befehle zu erteilen?« fragte der Mann mit der Lanze streitsüchtig.
»Das geht dich nichts an«, erwiderte Dennel. »Aber merke dir gut, daß es dich deinen Kopf kosten wird, wenn du diesen Tery tötest. Dieses besondere Tier könnte sehr wertvoll für Kitru sein.« Aus der Fassung gebracht, zögerte der Soldat. Er ließ sich nur widerwillig von einem Zivilisten mit Kindergesicht, einem Emporkömmling, der noch nie gekämpft hatte, etwas sagen; aber wenn dieser Unbekannte hier die Wahrheit sagte, war es gut möglich, daß er sich Kitrus Zorn zuziehen würde – und darauf legte er wahrhaftig keinen Wert.
Er wandte sich zu einem neben ihm stehenden Mann. »Hole Hauptmann Genthren.«
Es folgte eine kurze Zeit angespannten Wartens, in welcher der Tery die Überraschung zu überwinden suchte, die er beim Anblick des frei in der Burg herumlaufenden Dennel verspürt hatte. Er suchte nach einem Fluchtweg, aber da war keiner. Die Soldaten bildeten einen engen, undurchdringlichen Halbkreis um ihn.
Nur halb bekleidet und mit vom Schlaf verschwollenen Augen erschien der Hauptmann. Dem Tery entschlüpfte wider Willen ein Knurren, und sein Körper spannte sich, bereit zum Sprung. Das war der Offizier, der seinen Männern befohlen hatte, ihn nicht zu töten sondern langsam hinzuschlachten … das war der Mörder seiner Eltern!
Einer der Soldaten, der ihn genauer als die anderen beobachtete, bemerkte seine Angriffshaltung und hob die Augenbrauen:
»Paßt auf!«
Der Tery zwang sich zu entspannen, als die Soldaten ihre Pfeile und Lanzen auf ihn anlegten, bereit, ihn bei der leisesten Bewegung zu töten. Er hätte keine Chance, sich vorher noch auf den Hauptmann zu werfen.
Der Offizier starrte den Tery ohne das geringste Anzeichen des Wiedererkennens an, dann wandte er sich zu seinen Leuten. »Ich will hoffen, daß diese Angelegenheit wichtig genug war, um mich zu wecken – ich breche noch vor Morgendämmerung in einer wichtigen Mission für Kitru auf.«
Der stämmige Soldat mit der Lanze trat vor und deutete auf Dennel. »Der Fremdling hier hat gesagt, daß Kitru meinen Kopf abschlagen
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