LaNague 05 - Der Tery
und die kumulative Wirkung generationslanger Inzucht hatten die Höhlenbewohner zu einer Horde wilder, schwachsinniger Ungeheuer gemacht.
Als Dalt und Jon den Korridor entlanggingen, beobachteten sie Szenen von alptraumhafter Brutalität, die zum alltäglichen Geschehen in der Höhle gehörten. Eine Kreatur mit einem formlosen Leib, sechs Tentakeln und einem humanoiden Kopf schlurfte umher, pickte hier und da Brocken von den Pilzen ab und stopfte sie sich in den Mund. Ein zweites Geschöpf, aus dessen reptilienhaftem Körper am Rücken Hornplatten herausragten und das ebenfalls einen humanoiden Kopf besaß – sie hatten alle menschenähnliche Köpfe! –, stürzte sich ohne Warnung von einem in etwa einem Meter Höhe gegrabenen Bau herab und landete auf dem Rücken des Tentakelwesens. Es schlug seine spitzen Krallen tief in den Hals seines Opfers, so daß sie beide vom hervorschießenden Blut besudelt wurden. Dem Opfer gelang es jedoch, sich auf die Seite zu rollen und einen seiner längeren Tentakel um die Kehle des Angreifers zu wickeln.
Die beiden im Gang warteten nicht ab, ob die eine Mißgeburt durch den Blutverlust oder die andere aus Sauerstoffmangel eher erschöpft war. Sie wandten sich von den ineinander verschlungenen Kämpfern auf der anderen Seite der Sichtwand ab und gingen weiter, Dalt voran.
»Hier muß irgendwo eine Tür sein«, sagte er zu Jon. »Die Gestalter haben einen Durchbruch vom Gang zur Höhle geschaffen. Hoffentlich gelingt es uns, ihn zu öffnen, wenn wir ihn finden.«
Der Tery schwieg. Dalt blickte seinen Gefährten an und fragte sich, ob er sich in der Höhle würde behaupten können. Jon besaß zwei Vorteile: seine Intelligenz und seine Jagdkeule. Dalt hatte ihm ein Strahlengewehr geben wollen, doch der Tery war vor dessen Feuerkraft zurückgeschreckt. Seine eigene Waffe, die ihn fast das ganze Leben hindurch beschützt und ernährt hatte, gab ihm ein beruhigendes Gefühl. Also nahm er nur die Keule mit.
Ich würde mich nicht mal mit zwei Strahlengewehren da hineinwagen, dachte Dalt und warf aufs neue einen Blick in die Höhle. Er vermutete, daß die Ungeheuer auf der anderen Seite des Fensters wegen der unterschiedlichen Beleuchtung von Höhle und Gang wahrscheinlich gar nichts von der Existenz des Korridors wußten. Das Licht der phosphoreszierenden Steine spiegelte sich wohl in der Schmutzschicht wider, die das Glas verschmierte, und verlieh ihm somit das Aussehen einer ungewöhnlich glatten Wandfläche. Die Gestalter hatten diesen Effekt vermutlich beabsichtigt, damit sie sehen konnten, ohne selbst gesehen zu werden.
Jon blieb stehen und deutete auf etwas am Fenster. »Was ist das, Tlad?«
Dalt gewahrte eine runde, dunkle Masse, deren Durchmesser etwa eine Armeslänge betrug und die sich langsam an der Höhlenseite des Fensters hinunterschob. Er versuchte, einen Blick auf die Rückseite des Dings zu erhaschen, doch es war offensichtlich flach wie eine Scheibe, denn er konnte keinerlei Wölbungen auf seiner anderen Seite ausmachen.
Sein Blick wurde von einer Bewegung zur Rechten angezogen. Fünf dunkle Gestalten kamen einen Pfad entlang und eilten geduckt über den Boden. Die Scheibe mußte wohl auf ihrer Rückseite ein Auge haben, mit dem sie die sich nähernden Formen erspäht hatte, denn sie änderte ihre Richtung.
Dann waren die Dinger so nahe, daß Dalt Einzelheiten wahrnehmen konnte. Sie hatten normale menschliche Köpfe und Rümpfe, aber da endete jegliche Ähnlichkeit mit der menschlichen Rasse, die Dalt kannte. Jeder von ihnen war dunkelhäutig, und acht Beine – vier an jeder Seite – spreizten sich spinnenartig von ihrem Körper ab. Aber es war der unverhüllte Ausdruck wütender Gefräßigkeit in ihren stumpfen, idiotischen Gesichtern, als sie auf dem Fenster ausschwärmten und die Scheibe angriffen, der Dalt einen Riesensatz nach hinten machen ließ, wo er gegen die andere Wand des Gangs prallte. Wenn er auch wußte, daß er in Sicherheit war, hatte er die unwillkürliche Bewegung doch nicht unterdrücken können.
Jetzt bot sich ihnen ein weiterer grauenerregender Anblick. Als die Spinnenbande die Scheibe vom Fenster abgepflückt hatte und sie zu ihrem Schlupfwinkel schleppte, wo immer der sein mochte, konnte Dalt einen Blick auf den Rücken des Opfers werfen. Es war nicht viel zu erkennen, aber selbst bei flüchtigem Hinsehen und trotz der düsteren Beleuchtung zeichneten sich doch zweifelsfrei die Züge eines menschlichen Gesichts ab.
Jons Augen suchten
Weitere Kostenlose Bücher