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Land aus Glas

Land aus Glas

Titel: Land aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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vorzustellen, nur diesen Zug, um sich von diesem Gedanken fortbringen zu lassen, einen Zug in voller Fahrt wie eine Wunde quer durch die Landschaft von Quinnipak, immer geradeaus bis wer weiß wohin, bis dahin, wo sich die Schienen im Nichts verlieren, an einem x-beliebigen Ort vielleicht, oder vielleicht in einer Stadt, irgendeiner Stadt, einer x-beliebigen Stadt, oder genau in dieser hier – schnurgerade wie ein auf diese Stadt abgefeuertes Geschoß, genau auf diese hier, denn es gibt tausend Orte, wo ein Zug ankommen kann, doch dieser hat ein besonderes Ziel, und dieses Ziel heißt Morivar.
    Er schaute zu Boden.
    »Aber Jun wird es nicht verstehen.«
    »An dem Tag. An dem Tag wird sie es verstehen.«
    Als sie ins Zimmer zurückkamen, machten Bonetti und Bonelli Anstalten, sich in einer unwillkürlichen Anwandlung von Unterwürfigkeit zu erheben.
    »Bitte, bemühen Sie sich nicht! Also, wir haben uns folgendermaßen entschieden: Der Zug soll hier abfahren und genau in Morivar ankommen. Das müßten dann exakt zweihundert Kilometer sein … schnurgerade natürlich.«
    Bonetti beugte sich über die Karte und suchte mit seinen feisten Fingern nach diesem Namen, den er irgendwo schon mal gehört hatte.
    »Großartig! Ich sehe, Morivar liegt am Meer. Das bietet ausgezeichnete Möglichkeiten für eine kommerzielle Nutzung. Mr. Rail, ich finde Ihre Entscheidung fabelhaft, ich glaube wirklich …«
    »Die Möglichkeiten für eine kommerzielle Nutzung, wie Sie das nennen, spielen aber auch nicht die geringste Rolle, Herr Ingenieur. Würden Sie mir lieber sagen, wann die Arbeiten beginnen können, und wieviel das Ihrer Meinung nach alles kostet?«
    Ingenieur Bonetti nahm seine Augen von der Karte und seine Uhr aus der Westentasche, um mit jenen die Anwesenheit dieser zu überprüfen. Bonelli, der genau dafür da war, ergriff das Wort.
    »Wir werden eine Baustelle mit ungefähr achtzig Leuten brauchen … In ein paar Monaten könnte sie funktionstüchtig sein. Was die Kosten angeht, zwingt uns Ihr – durchaus berechtigter – Wunsch, die Eisenbahn schnurgerade fahren zu lassen, zu einigen zusätzlichen Arbeiten … Wir müssen uns den Streckenverlauf erst gründlich ansehen, doch wahrscheinlich werden Ausschachtungen, ein paar Dämme und vielleicht sogar Tunnel nötig sein … Wir denken aber, daß die Summe, die Sie auf diesem Blatt hier finden, annähernd verläßlich ist …«
    Mr. Rail nahm das Blatt. Es stand nur eine Zahl darauf. Er las sie. Er schaute auf, gab Andersson das Papier und sagte:
    »Das ist nicht gerade ein Pappenstiel, aber ich glaube, mit ein paar Opfern schaffen wir es.«
    Bonelli sah ihm in die Augen.
    »Wie allgemein üblich, bezieht sich die Summe auf den Bau einer Strecke von zehn Kilometern. In unserem Fall müßte sie also mit zwanzig multipliziert werden.«
    Mr. Rail nahm Andersson das Blatt aus der Hand, las es noch einmal, heftete seinen Blick wieder auf Bonelli, dann auf Bonetti und nochmals auf Bonelli.
    »Wirklich?«

4
     
    Ein Mann, der wie ein Pendel unermüdlich zwischen Haus und Straße hin und her läuft. 
     
    In strömendem Regen läuft ein Mann wie ein verrücktes Pendel zwischen Haus und Straße hin und her. 
     
    Mitten in der Nacht läuft ein Mann in strömendem Regen wie ein verrücktes Pendel aus seinem Haus, bleibt auf der Straße stehen, stürzt Hals über Kopf ins Haus zurück, läuft wieder hinaus und rast erneut ins Haus, und es sieht aus, als würde er nie mehr damit aufhören. 
     
    Mitten in der Nacht läuft ein Mann in strömendem Regen wie ein verrücktes, nasses Pendel aus seinem Haus, bleibt auf der Straße stehen, verfolgt etwas in der Luft und in dem Wasser ringsumher, stürzt Hals über Kopf ins Haus zurück, läuft wieder hinaus und rast erneut ins Haus, und es sieht aus, als würde er nie mehr damit aufhören, ganz als sei er von den Glockenschlägen verhext, die in diesem Augenblick die Dunkelheit zerreißen und sich in der flüssigen Luft des endlosen Regengusses auflösen.
    Elf Schläge.
    Einer nach dem anderen.
    Der gleiche Ton, elfmal.
    Jeder Schlag, als sei er der einzige.
    Elf Schallwellen.
    Und dazwischen eine unermeßliche Zeit.
    Elf.
    Einer nach dem anderen.
    Bronzene Steine im Wasser der Nacht.
    Elf wasserfeste Töne, in die Fäulnis der Nacht geschickt.
    Elf Schläge waren es, von der Glocke, die die Nacht bewachte, in den strömenden Regen gedröhnt.
    Der erste – gleich der erste – packte hinterrücks Pekischs Seele und verbrannte sie

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