Land aus Glas
besonderen Takt vorgab, wie ein durchgedrehtes Chronometer nämlich, das im Gehäuse dieser riesigen Pendeluhr namens Quinnipak und seinem Kirchturm eingeschlossen war, erneut ins Nichts der Nacht aufschaute, damit sich in ihm so viel wie möglich von dieser Klangblase verfing, die regelmäßig zu ihm drang, vom Kirchturm herab durch die tausend Spiegel des Regengusses bis an sein Ohr, so daß er sie aufnahm und wie einer, der einen Schluck Wasser in der hohlen Hand hält, zum Haus zurückstürzte, um wer weiß wessen Durst zu stillen, um seinen eigenen Durst zu stillen, und das hätte er auch getan, doch als er die Hälfte des Flurs hinter sich hatte, merkte er, daß seine Hand wieder leer war und auch sein Hirn leer und still – es war nur ein Augenblick – vielleicht war es auch die Ahnung dessen, was sogleich geschehen sollte – fest steht jedenfalls, daß er seinen Lauf mitten auf dem Flur bremste, wie angewurzelt stehenblieb, indem er sich an Wände und Möbel krallte, dann wie von einer plötzlichen Angst getrieben kehrtmachte und wieder aus dem Haus raste, hinaus ins Freie, mitten auf die Straße, wo er sich, die Füße in einer riesigen trüben Pfütze versunken, auf die Knie fallenließ, seine Fäuste gegen den Kopf preßte und mit geschlossenen Augen dachte: »Jetzt, genau jetzt«, und dann flüsterte: »Oder nie.«
Er verharrte dort wie eine brennende Kerze in einer brennenden Scheune.
Unter einem Meer flüssiger nächtlicher Töne begraben, wartete er auf einen runden Bronzeton.
Ein kleiner Mechanismus klickte im Innern der Kirchturmuhr von Quinnipak.
Der große Zeiger rückte eine Minute weiter.
Durch ein Meer flüssiger nächtlicher Töne glitt eine runde Blase der Lautlosigkeit zu Pekisch. Als sie ihn streifte, zerplatzte sie und bespritzte das große Getöse des endlosen Gewitters mit Stille.
»Ja, in jener Nacht ging ein wahrer Wolkenbruch nieder, wissen Sie, in unserer Gegend passiert das nicht gerade oft, darum erinnere ich mich noch daran … auch wenn das natürlich nicht der einzige Grund ist, weshalb ich mich an jene Nacht erinnere … es ist bestimmt sogar einer der unwichtigsten Gründe … sei’s drum … offen gesagt, Mr. Pekisch ist immer der Ansicht gewesen, daß das alles gerade wegen dem Regen passiert ist … ich weiß nicht, ob ich mich klar ausdrücke … sehen Sie, er dachte, daß das Wasser diesen merkwürdigen Ton erzeugt hat … er sagte, daß der Glockenton, als er durch diese Wasserwand kam und von jedem Tropfen abprallte … jedenfalls kam ein anderer Ton heraus … wie wenn einer auf dem Meeresgrund Ziehharmonika spielt … dann kämen doch auch andere Töne heraus, stimmt’s? … aber mehr weiß ich auch nicht … ich verstehe nicht alles, was Mr. Pekisch sagt … Er hat mir das auch mal erklärt … er hat mich an sein Fortepiano gestellt und hat mir erklärt, daß … er sagte, zwischen zwei Tasten liegen in Wirklichkeit unendlich viele Töne, ein Höllenspektakel versteckter Töne sozusagen, Töne, die wir nicht hören … das heißt, ich und Sie hören sie nicht, denn er, Mr. Pekisch, hört sie sehr wohl, und das ist, wenn Sie so wollen, die Wurzel all seiner Leiden – und dieser Unruhe, die ihn auffrißt, jawohl, sie frißt ihn auf … er sagte, dieser Ton, in jener Nacht, war gerade einer von diesen unsichtbaren Tönen … verstehen Sie, von denen, die zwischen zwei Tasten liegen … ein Ton, der sogar für ihn unsichtbar ist … ja, so war’s … aber mehr weiß ich auch nicht … ich verstehe nicht viel von diesen Dingen … wissen Sie, was mein lieber Charlus immer sagte? Er sagte ›Musik ist die Harmonie der Seele‹, das sagte er … und das denke ich auch … es will mir nicht in den Kopf, wie sie zu einer … zu einer Krankheit werden kann … zu einer regelrechten Krankheit … verstehen Sie? … Jedenfalls … jedenfalls habe ich ihn gesehen, in jener Nacht … ich wachte natürlich auf … ich beugte mich auf der Treppe vor und sah, wie er durch den Flur rannte und schrie … er schien durchgedreht zu sein. Irgendwie hatte er auch etwas Angsteinflößendes an sich, und so rührte ich mich nicht vom Fleck, ich blieb, wo ich war, und beobachtete ihn heimlich vom oberen Stock aus … wissen Sie, damals war Pehnt noch nicht da, ich wohnte oben und Mr. Pekisch im Erdgeschoß, am Ende des Flurs … ach so, ja, der Flur … kurz und gut, ich hörte schließlich nichts mehr, als sei er weg … da ging ich die Treppe runter und den ganzen Flur
Weitere Kostenlose Bücher