Land aus Glas
Zimmer … oder ich gehe in seins … jedenfalls ist es doch so, daß man manchmal diese häßliche Müdigkeit in sich hat, einfach so, es vergeht einem die Lust weiterzumachen, sich zu wehren … dann kommt dieses Durcheinander im Kopf, und diese Müdigkeit … und es ist nicht schön, wenn dann die Nacht anbricht, das ist wirklich nicht die Zeit, allein im Dunkeln zu liegen … eigentlich braucht man diesen Unsinn mit der Nacht doch gar nicht … und darum verlasse ich manchmal mein Zimmer und gehe leise in das von Mr. Pekisch … und auch er macht es manchmal so … und ich krieche in sein Bett, und wir umarmen uns … Sie werden sagen, das ist nicht mehr das Alter für gewisse Dinge … Ihnen mag das alles lächerlich vorkommen, und ich weiß auch, daß ich keine schöne Frau mehr bin und … aber es passiert, jawohl … wir umarmen uns und das alles … still … wissen Sie, in all den Jahren ist es nicht ein einziges Mal vorgekommen, daß Mr. Pekisch mich abgewiesen hätte … und auch ich habe ihn, wenn er im Dunkeln leise in mein Zimmer kam, nicht einmal abgewiesen … nicht, daß es sehr oft passiert, glauben Sie mir … nur eben manchmal … aber ich habe nie nein gesagt … Um die Wahrheit zu sagen … um die Wahrheit zu sagen, ich habe auch nie ja gesagt, ich meine, ich habe überhaupt nichts zu ihm gesagt, ja, so ist das, wir sagen überhaupt nichts, nie auch nur ein Wort … und auch hinterher nicht, im Leben, wir haben nie über diese Sache gesprochen, wir haben nie darüber gesprochen, mit keinem Wort … es ist so was wie ein Geheimnis … so was wie ein Geheimnis auch für uns selbst … nur einmal, fällt mir da ein, Sie werden lachen, aber … einmal wachte ich nachts auf, und er war da, er saß auf meinem Bett und sah mich an … und ich erinnere mich, daß er sich damals über mich beugte und sagte ›Du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe‹, einfach so … oh, ich war schon alt, damals, und das war alles gar nicht wahr … und trotzdem war es die Wahrheit … für ihn war es die Wahrheit, in jenem Augenblick, ich weiß, daß es die Wahrheit war … nur für ihn, und nur in jener Nacht, aber es war die Wahrheit … Ich habe es einmal Pehnt erzählt … wissen Sie, er schreibt doch jeden Tag in dieses Heftchen, um alle Dinge des Lebens zu wissen … ich habe ihm gesagt, daß das Leben … ich habe ihm gesagt, daß alles Schöne im Leben immer ein Geheimnis ist … für mich ist es so gewesen … die normalen oder die häßlichen Dinge, die kennt man ja, aber dann gibt es da noch die Geheimnisse, und hinter denen verbirgt sich das Glück … mir ist es so ergangen, immer … und ich versichere Ihnen, daß auch er dahinterkommen wird, wenn er groß ist … dieser Wissensdurst wird ihm vergehen … wissen Sie, ich glaube, er wird es schaffen; eines Tages wird er wirklich in die Hauptstadt gehen und ein bedeutender Mann werden, er wird eine Frau haben und Kinder, und er wird die Welt kennenlernen … ich glaube, er wird es schaffen … so groß ist diese Jacke ja wirklich nicht … eines Tages wird er weggehen … vielleicht wird er mit dem Zug fahren, Sie wissen doch, mit der Eisenbahn, die Mr. Rail gerade baut … ich habe nie eine gesehen, aber ich habe gehört, daß sie wunderschön sind, die Eisenbahnen … vielleicht wird er mit dem Zug wegfahren, und wer weiß, ob er jemals wiederkommt … ich weiß es nicht … ich habe gehört, daß die Welt vom Zug aus so aussieht, als bewege sie sich, wie eine Laterna magica … oh ja, das muß wirklich schön sein, das muß Spaß machen! … Sie haben noch nie in einem Zug gesessen? Sie sollten es tun, Sie sind noch jung, Sie sollten es tun … meinem lieben Charlus hätte es gefallen, er hatte Mut, und ihm gefiel alles, was neu war … die Eisenbahn hätte ihm gefallen … nun ja, natürlich nicht so, wie ich ihm gefiel … ach nein, das war nur ein Scherz, nehmen Sie das bloß nicht ernst, ich meinte nur so, wirklich … nur so, zum Spaß …«
5
»Wie ist das denn, Mr. Rail? Wie ist das, wenn man schnell fährt?«
Im Garten vor dem Haus waren so ziemlich alle aus dem Hause Rail versammelt. Ein paar Arbeiter aus der Glasfabrik waren auch da und das ganze Dienstpersonal und Mr. Harp, der alles über Böden wußte, und der alte Andersson, der alles über Glas wußte, und noch einige andere. Und Jun und Mormy. Und Mr. Rail.
»Das kann man nicht beschreiben, unmöglich … das muß man erleben … es ist ungefähr so, wie wenn die Welt
Weitere Kostenlose Bücher