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Land aus Glas

Land aus Glas

Titel: Land aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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um euch herumwirbelt … in einer fortlaufenden Bewegung … es ist also ungefähr so, wie wenn … wenn ihr versucht, euch um euch selbst zu drehen, etwa so: dreht euch, so schnell ihr könnt, und laßt die Augen dabei offen … so …«
    Und er begann sich wirklich im Kreis zu drehen, dieser Mr. Rail, dort unten auf der Wiese, mit ausgebreiteten Armen und weit offenen Augen, den Kopf leicht zurückgeneigt …
    »… dreht euch so im Kreis und haltet die Augen offen … ja, genauso sieht man die Welt vom Zug aus … genauso … dreht euch im Kreis und haltet die Augen offen … das ist genauso wie Schnellfahren … wie die Geschwindigkeit …«
    … und dann hielt er schwankend an, mit einem Schwindelgefühl im Kopf, aber lachend und …
    »… na los, probiert es … ihr müßt euch im Kreis drehen, so schnell ihr könnt, und die Augen offenhalten … na los, wollt ihr nun wissen, wie das ist, wenn man schnell fährt, oder nicht? Also dreht euch, Herrgott nochmal! Bewegt euch!«
    So begann auf der großen Wiese tatsächlich einer nach dem anderen, sich erst mit langsamer Vorsicht und dann immer schneller um sich selbst zu drehen – sie breiteten die Arme aus und begannen nacheinander, sich um die eigene Achse zu drehen und vor sich hin zu starren, ein Vor-sich-hin, das sich in eine fortlaufende Bewegung verwandelte, es entwischte aus den Augen und ließ einen Schweif aus nicht greifbaren Bildern und einen sonderbaren Taumel zurück – so drehten sich am Ende alle auf der großen Wiese, sowohl die Arbeiter aus der Glasfabrik, als auch die Hausmädchen, die noch halbe Kinder waren, sowohl Mr. Harp, der alles über Böden wußte, als auch der alte Andersson, der alles über Glas wußte, und überhaupt alle zusammen, mit ausgebreiteten Armen und weit aufgerissenen Augen, während Gelächter und Rufe immer gellender schrillten und sich schließlich jemand auf den Boden fallen ließ und sie zusammenstießen, sich atemlos drehend, schreiend, lachend, Röcke, die sich herumwirbelnd hoben, Hüte, die herunterfielen, fröhliche Flüche in der Luft, Augen voller Tränen vom vielen Lachen, einer schließlich geradewegs in den Armen des andern, jemand, der seinen Schuh verloren hatte, die jüngsten Mädchen mit dünnen Stimmchen kreischend, der alte Andersson etwas vor sich hin brabbelnd, und wer fällt, steht wieder auf und stürzt sich erneut in den allgemeinen Tumult, in dieses allgemeine gemeinschaftliche Kreiseln, und falls das einer von oben sehen könnte, wie mit den Augen Gottes, würde er sich die Wiese mit diesen Verrückten darauf, die sich wie wild im Kreis drehen, anschauen und denken »Das muß ein Tanzvergnügen sein«, aber wahrscheinlicher ist, daß er sagen würde »Sieh mal einer an, da versuchen komische Vögel, sich in den Himmel zu schwingen und weit weg zu fliegen«. Und dabei waren es doch nur Menschen, Menschen unterwegs in einem Zug, den es nicht gab.
    »Versuch dich zu drehen, Mormy, na los!« Mitten in all dem Lärm stand Mormy da und schaute sich vergnügt um. Mr. Rail hatte sich zu ihm hinuntergebeugt.
    »Wenn du sehen willst, was man von einem Zug aus sieht, mußt du dich drehen … so wie die anderen …«
    Mormy starrte ihn auf seine eigentümliche Art, die niemanden verschonte, an, denn niemand hatte solche Augen – so schöne Augen – und niemand sah einen je so an, wie er einen ansah. Und er schwieg. Sozusagen als Zugabe zu diesem einzigartigen Blick: er schwieg.
    Immer. Seit er nach Quinnipak gekommen war, hatte er vielleicht hundert Wörter gesagt. Er beobachtete, bewegte sich mit systematischer Langsamkeit und schwieg. Er war elf Jahre alt, doch das war er auf eine höchst ungewöhnliche, sehr individuelle Art. Er schien in einem ureigenen Aquarium zu leben, in dem es keine Wörter gab und wo die Zeit ein Rosenkranz war, der sorgfältig und mit Engelsgeduld gebetet werden mußte. Er hatte etwas Kompliziertes im Kopf. Mormy. Vielleicht auch etwas Krankes. Niemand wußte es, niemand konnte es wissen.
    »Mormy!«
    Juns Stimme drang von weither zu ihm. Er wandte sich um und schaute sie an. Sie lachte, ihr Rock drehte sich mit ihr, die Haare flogen ihr übers Gesicht – auch sie vom Wirbel des großen imaginären Zuges erfaßt. Mormy betrachtete sie eine Weile. Er sagte nichts. Doch auf einmal fing er langsam an, sich zu drehen, er breitete die Arme aus und fing langsam an, sich zu drehen, langsam, und sofort schloß er die Augen – er als einziger von allen –, denn niemals wäre er in

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