Land aus Glas
Hause in der Stille des beliebigen Lebens verhallten und natürlich die Erinnerung an etwas Außergewöhnliches zurückließen. Einfach so.
»Ihr Orchester hat herrlich gespielt, Pekisch, wirklich … es war wunderschön.«
»Danke, Mr. Rail, danke … Der Zug war auch wunderschön, ich meine, das ist eine tolle Idee, eine großartige Idee.«
Der Zug, also Elisabeth, wurde unterhalb des Hauses Rail am Fuß des Hügels auf die große Wiese gestellt, nicht weit entfernt von der Glasfabrik. Eine gründlichere Analyse der Kosten hatte Mr. Rail davon überzeugt, daß zweihundert Meter Schienen vorläufig genügen dürften – genügen mußten. Ein paar Tage zuvor waren die Männer von Ingenieur Bonetti gekommen, um sie zu verlegen – nicht ohne fröhlich darauf hinzuweisen, daß dies die kürzeste Eisenbahnstrecke war, die sie je gebaut hatten.
»Es ist ungefähr so, als würde man eine Adresse auf einen Briefumschlag schreiben. Den Brief schreiben wir dann später, und er wird zweihundert Kilometer lang sein«, erklärte Mr. Rail. Dieses Konzept leuchtete zwar nicht allen ein, aber alle pflichteten wohlerzogen bei.
So stellte man Elisabeth an den Anfang dieses zweihundert Meter langen Schienenstranges, wie man ein Kind in eine Wiege legt oder wie man eine Kugel in den Lauf eines Revolvers schiebt. Um das Fest vollkommen zu machen, gab Mr. Rail die Anweisung, den Kessel anzufeuern. In absoluter Stille heizten die beiden Herren aus der Hauptstadt die große Lokomotive an, und vor Hunderten weit aufgerissener Augen begann der kleine Schornstein Rauchzeichen auszuspucken sowie die merkwürdigsten Geräusche und die Gerüche eines segensreichen Feuerchens in die Luft zu stoßen. Elisabeth erbebte wie die Welt vor einem Gewitter, brabbelte etwas in einer unbekannten Sprache und sammelte ihre Kräfte für Gott weiß was für einen Ansprung – bist du sicher, daß sie nicht explodiert? – Nein, sie explodiert nicht – Es war, als unterdrückte sie in ihrem Innern zusammengeballte Wolken des Hasses, um sie später auf diesen stillen Schienen herauszulassen, vielleicht waren es aber auch Lust, Verlangen und Fröhlichkeit – auf jeden Fall war es wie das langsame und erstaunliche Sichbücken eines unerschütterlichen Giganten, der, um wer weiß welche Strafe abzubüßen, hierher gerufen war, damit er einen Berg hochhob und ihn in den Himmel schleuderte – es ist, wie wenn Stitt Teewasser aufgießt – sei still, Pit – es ist genauso – der große Topf, in dem die Zukunft brodelt –, und als das Feuer dort drinnen die ganze Erwartung dieser unzähligen Augen schließlich aufgezehrt hatte und die Lokomotive aussah, als könne sie all die in ihr angestaute Heftigkeit und schreckliche Kraft nicht mehr aushalten, da, genau da begann sie sanft wie ein Blick, nur wie ein Blick, auf der jungfräulichen Exaktheit ihrer beiden Schienen dahinzugleiten, ganz langsam, wie ein Blick, Elisabeth.
Elisabeth.
Sie hatte nur zweihundert Meter Schienenweg vor sich, und das war den beiden Männern aus der Hauptstadt durchaus bewußt, die am Steuer der großen Maschine nach vorn schauten und Meter für Meter abschätzten, wieviel Platz noch blieb, um diesem Minimum an Raum das Maximum an Geschwindigkeit abzutrotzen. Sie waren in ein kleines Spiel vertieft, das ihnen bei genauerer Betrachtung auch den Tod bringen konnte, das aber trotzdem ein Spiel blieb, aufgeboten für das Staunen all dieser Augen, die sahen, wie Elisabeth allmählich an Tempo gewann, ihre Fahrt beschleunigte und die weiße Wolke aus glühendheißem Dampf immer weiter hinter sich zurückließ, so daß sich der Gedanke regte, das schaffen sie nicht mehr, sie hat beschlossen, loszustürzen, ein für allemal und dann nie wieder – kann eine Lokomotive Selbstmord begehen? – ich sage dir: Die Bremsen funktionieren nicht mehr – IHR MÜSST BREMSEN, VERDAMMT NOCH MAL! Nicht eine Falte in Mr. Rails Gesicht, nur seine Augen wie gebannt auf dem großen Feuer in voller Fahrt, Juns leicht geöffnete Lippen, UM GOTTES WILLEN, BREMST DOCH! Noch vierzig Meter bis zum Ende, nicht mehr, ist da noch jemand, der nicht den Atem anhält? Stille, zu guter Letzt, absolute Stille und darin der Lärm der großen Maschine, nichts als dieses unverständliche Donnern; was wird jetzt passieren? Möglich, daß alles im Wahnsinn einer Tragödie enden muß, möglich, daß diese gottverdammten Bremsen gar nicht daran denken, in Aktion zu treten, diese verfluchten Bremsen, möglich, daß es wirklich
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