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Land aus Glas

Land aus Glas

Titel: Land aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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einstürzen wird. Eine komische Geschichte. Auch sie kommt in die Zeitung. Genau wie die andere, die mit den Spatzen. Ein riesiger Spatzenschwarm kam angeflogen und setzte sich auf die Stützbalken des Crystal Palace. Tausende Spatzen, an Weiterarbeit war nicht zu denken. Sie genossen die Wärme hinter den schon montierten Glasscheiben. Es war völlig unmöglich, sie zu vertreiben. Das permanente Lärmen und dazu ständig dieses verrückte Herumflattern überall brachte einen um den Verstand. Auf sie schießen konnte man auch nicht, mit all dem Glas ringsumher. Man versuchte es mit Gift, aber sie fielen nicht darauf herein. Alle Arbeiten wurden eingestellt, es waren noch zwei Monate bis zur Eröffnung, und man mußte alles liegenlassen. Es war lächerlich, aber da war nichts zu machen. Natürlich gab jeder seinen Senf dazu, aber es gab nicht eine Methode, die funktionierte, keine einzige. Und es wäre alles den Bach runtergegangen, wenn nicht die Königin gesagt hätte: Holt den Herzog von Wellington. Ihn. Den Retter. Er kam eines Morgens auf die Baustelle und schaute sich die unzähligen Spatzen, die es sich hinter dem Glas und unter dem Himmel wohl sein ließen, eine Weile an. Er sah sich um und sagte: ›Einen Falken. Holt einen Falken‹. Mehr sagte er nicht, und dann ging er fort.«
    Mr. Rail trennte die Seiten seines Buches, eine nach der anderen. Seite sechsundzwanzig. Und er hörte zu.
    »Unbeschreiblich. Die Leute gehen nach Hause, nachdem sie den Crystal Palace gesehen haben, und sagen: unbeschreiblich. Das muß man gesehen haben. Wie ist er denn? Stimmt es, daß eine Mordshitze darin herrscht? Nein, das stimmt nicht. Und wie haben sie das gemacht? Keine Ahnung. Stimmt es, daß da eine riesige Orgel steht? Es gibt zwei, zwei Orgeln. Es gibt drei. Ich habe die drei Orgeln des Crystal Palace gehört: unbeschreiblich. Man hat die Eisenträger alle angestrichen, rot, blau, gelb. Und die Glasscheiben, erzähl mir von den Glasscheiben! Es ist alles aus Glas, wie ein Gewächshaus, aber tausendmal größer. Du stehst darin, und es ist, als wärst du draußen, dabei bist du drinnen. Man muß den Leuten nichts erklären, die Leute wissen selbst, daß das ein Zauber ist. Sie kommen von außerhalb und verstehen sofort, kaum daß sie ihn von weitem gesehen haben, daß so was noch nie da war. Und während sie näherkommen, lassen sie ihrer Phantasie freien Lauf. Eine Welt aus Glas. Da müßte alles soviel leichter sein. Auch Worte, auch die Schrecken, und sogar Sterben. Ein durchsichtiges Leben. Und dann mit Augen sterben, die weit in die Ferne schauen können und die die Unendlichkeit erspähen. Man muß ihnen das nicht erklären. Das alles. Den Leuten. Die Leute wissen es. Auch deshalb glaubte niemand, als die Weltausstellung zu Ende ging, daß der Crystal Palace für immer dort bleiben könnte. An ihm waren das Staunen so vieler Augen und die Träume unzähliger Menschen haften geblieben. Darum wollen wir ihn Stück für Stück abtragen, diesen gigantischen Glaspalast, und ihn außerhalb der Stadt wieder aufbauen, mit kilometerweiten Gärten ringsumher, mit Seen und Springbrunnen und Labyrinthen. Nachts wird man dort Feuerwerke veranstalten. Und tagsüber große Konzerte oder wunderbare Schauspiele, Pferderennen, Schiffsschlachten, Attraktionen mit Artisten, Elefanten, Ungeheuern. Es ist schon alles vorbereitet. Wir werden ihn in einem Monat abtragen und dort wieder aufbauen. Genauso wie vorher. Oder vielleicht sogar noch größer. Und die Leute werden sagen: Morgen gehen wir in den Crystal Palace. Sooft sie wollen, können sie hingehen und träumen, was ihnen gefällt. Manchmal wird es regnen, und die Leute werden sagen: Wir gehen in den Crystal Palace, um zu hören, wie der Regen dagegenprasselt. Und sie werden sich zu Hunderten unter all dem Glas einfinden, werden leise reden wie Fische in einem Aquarium und auf den Regen lauschen. Auf das Geräusch, das er macht.«
    Mr. Rail hatte auf Seite sechsundvierzig aufgehört, die Seiten zu trennen. Es war ein Buch über Springbrunnen. Es waren auch Abbildungen darin. Und einige geradezu unglaubliche hydraulische Systeme. Er hatte das Papiermesser auf die Armlehne des großen Korbsessels gelegt. Er sah Hector Horeau an. Er sah ihn an.
    »Eines Tages erreicht mich ein Brief, und darin steht: Ich will den Mann kennenlernen, der den Crystal Palace entworfen hat. Die Handschrift einer Frau. Eine Unterschrift, Rebecca. Danach kommt noch einer, und dann noch einer. Also gehe ich

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