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Land der Erinnerung

Land der Erinnerung

Titel: Land der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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man fast überall wechseln kann): all das und tausend ähnliche Kleinigkeiten des täglichen Lebens ergeben einen reichen Schatz von Erinnerungen. Es war ganz gleichgültig, was ich berührte, was ich anschaute: mein Interesse und meine Neugier waren sofort geweckt. Nichts verlor seine Frische, nicht einmal das Gemüse in den Ständen.
    Immer wenn ich an Paris denke, denke ich an schlechtes Wetter. Es scheint mir heute, als ob es immer geregnet oder doch nach Regen ausgesehen habe. Man konnte an einem Regentag im Herbst, Frühling oder Winter schrecklich frieren, sogar wenn angeblich geheizt wurde. Doch die Cafés strömten eine köstliche Wärme aus, in die sich der Duft von Kaffee, Tabak und Wein mischte, zusammen mit dem Geruch von parfümierten und einladenden Körpern. Zu Essenszeiten drangen auch aus der Küche appetitanregende Gerüche. Aber der stärkste Duft kam von der Persönlichkeit derer, die die Kundschaft bildeten. Jeden einzelnen empfand man als einen ausgeprägten Charakter. Jeder hatte seine Geschichte, seine Entstehung, seinen Hintergrund, kurz gesagt, einen Grund, zu sein, was er war. Nie war jene schwer zu beschreibende Eigenart an ihnen, die hier in Amerika so vernichtend ist. Sogar die gargons sahen interessant aus, jeder einmalig und individuell. Die Kassierer waren natürlich besonders interessant, da die meisten von ihnen zu jener Rasse menschlicher Geier gehören, aus der sich ein über die ganze Welt verbreiteter Typ entwickelt hat. Noch interessanter, vielleicht, weil sie mehr Mitleid erweckte, war die Frau, die zum lavabo verdammt war. Immer war sie höflich und leutselig, wenn man das kleine Trinkgeld in die Untertasse legte; immer war sie bereit, einen zusätzlichen kleinen Dienst zu erweisen, falls man mit dem Kleingeld nicht sparte. Und was für erstaunliche Dienste konnte sie erweisen!
    Für den ‹sanforisierten› Bürger, sei er nun Faschist, Plutokrat oder Kommunist, ist an diesem Bild etwas, das Ekel, Verachtung oder Mitleid erregt. Es ist zu eng, zu gewöhnlich, zu grau. Es enthält alle Elemente jener stinkenden Welt des Bourgeois, die einen vorwärtsblickenden Menschen so abstößt. Das läßt sich nicht leugnen. Wenn man dieses kleine, einschmeichelnde Gemälde unter einem bestimmten Gesichtswinkel betrachtet, wirkt es lau und vermottet. Vor allem ist es kleinlich. Menschen, die sich diesen Gewohnheiten verschrieben haben, neigen nicht dazu, sich für die Verbesserung der Welt zu ereifern. Sie sind ganz vor ihren kleinen Bequemlichkeiten, ihren lächerlichen kleinen Riten, ihren selbstsüchtigen Sorgen und Ängsten in Beschlag genommen. Ungerechtigkeit können sie mit einem Achselzucken abtun. Sie schlagen wegen ein paar Sous Lärm und hören mit Gleichmut oder mit erheucheltem Schmerz von den Schrecken der Hungersnöte und Flutkatastrophen in Indien oder China. Keine große Leidenschaft bringt je ihr Blut in Wallung. An nichts glauben sie mit Inbrunst, zeigen keine Glut, raffen sich zu keiner spontanen, großherzigen oder unerwarteten Handlung auf. Ihre ganze Weisheit besteht darin, dich leben zu lassen; nur sollte man das bei ihnen nicht Weisheit nennen, sondern vielmehr Lebensversicherung. Ihre gelebte Duldsamkeit schützt sie vor dem Unverdienten, dem Aufsehenerregenden, dem Außerordentlichen, dem Sensationellen. Störe nie die ebenmäßige Eintönigkeit der täglichen Tretmühle. Im übrigen tu, was du willst. Quant à moi, je m'en fiche!
    So ist es, das läßt sich nicht abstreiten. Jedenfalls war es so. Es ist die mesquine Ansicht der Situation. Zugegeben, aber ich konnte immer noch sagen: «Tout de même, il y avait là quelque chose qui...» Ja, ich konnte immer etwas zum Ausgleich für diese Engherzigkeit finden, die so ekelhaft ist, wenn wir ihr bei anderen begegnen. Ich konnte diese Kleinigkeit ertragen, weil sie ja nicht alles war. Wenn das Getränk ausgezeichnet ist, untersuchen wir auch nicht den Satz am Boden des Bechers. Man denkt nicht bei jedem Schluck, den man trinkt, an Hefe und Satz. Wenn es mir ums Nörgeln ginge, könnte ich das Geschmier von Hefe und Satz in allem finden. « C'est emmerdant!» hört man dort drüben häufig. Der entsprechende englische Ausdruck wird hierzulande nicht so freimütig gebraucht. Wir sagen «es ist lausig», auch wenn wir oft damit meinen, es sei beschissen. Wir erlauben uns eine solche Sprache nur, wenn wir betrunken sind. Der Franzose dagegen kann jede Sprache gebrauchen, die seiner Stimmung angemessen ist, wenn er in

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