Land der guten Hoffnung
bis zum Segelboot war alles vertreten. Luxuriöse Motorjachten dümpelten an den Stegen, als habe sie ein Hubschrauber im Ententeich abgesetzt.
„Außerdem trinken Sie doch gerne Wein, Helm. Da ist ihr Einsatzgebiet doch nahezu ein Urlaubsziel.“
Ich drehte dem Havelparadies den Rücken zu und musterte Stamm. Er war ein kleiner und drahtiger Mann. Schon bei unserem ersten Treffen hatte er mich an einen Terrier erinnert. Woher kannte der Mann meine Trinkgewohnheiten? Waren drei Arbeitskontakte in sechs Jahren bereits zu viel, um ausreichend konturlos zu bleiben? Vermutlich war es so. Vorsicht war also geboten. Dass er mich Helm nannte, war okay. So steht es auf meiner Visitenkarte.
Helm Tempow.
Sonst nichts.
Kein Mensch nennt mich Friedrich Wilhelm Tempow.
Stamm zog sich dezent zurück und ließ mich mit den Unterlagen allein. Wie immer bekam ich alles, was ich über die Zielperson wissen musste, um sie aufzuspüren - und nichts über die Motive meiner Auftraggeber. Das war mir recht. So genau will ich es auch gar nicht wissen. Es belastet nur. Kennt man die Beweggründe der Auftraggeber, beginnt man abzuwägen. Haben sie Recht? Sind die Maßnamen, die sie ergreifen, die richtigen? Ist die Rolle, die man dabei spielt, überhaupt zu vertreten? Ich fälle keine Urteile. Ich führe einen klar umrissenen Auftrag aus. Das erhält mir die nötige Distanz. Die Mittelsleute, die mir Arbeit verschaffen, sind Puffer zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber - Garanten für Seriosität und Filter gegen sentimentale Regungen.
Nachdem ich das Material gesichtet hatte, trank ich noch ein Bier mit Stamm im Restaurant ,Skipper’. Es gab nicht mehr viel zu sagen. Wir beobachteten die Angler, die auf Campingstühlen am Kanal saßen und auf Beute hofften. Die Crew eines Achters ruderte zu den lauten Rufen ihres Schlagmanns vorbei. Aus der Werft am gegenüberliegenden Ufer erklangen Hammerschläge, und der Kran hob eine Sloop aus dem Wasser, die träge und dickbauchig in den Tragegurten schaukelte.
Auf der Rückfahrt in die Stadt stieg ich von der S- auf die U-Bahn um. Ein Mann - dessen Frisur und Brille mich an Roy Orbison erinnerten - ignorierte die Lautsprecherwarnung „Bitte zurückbleiben!“ und rempelte sich die letzten Meter über den Bahnsteig frei. Er schaffte es gerade noch in den Wagon, bevor die Türautomatik zuschnappte.
Ich werde nie begreifen, was Leute bei Zugabständen von nur wenigen Minuten zu solcher Hetzerei bewegt. Man kann so wunderbar gleiten. Ich genieße es, gefahren zu werden. Meinen Wagen habe ich schon vor geraumer Zeit abgeschafft. Ich wohne mitten in der Stadt, und mit Schnell- und Untergrundbahn, Tram, Bus und Fähre komme ich so gut wie überall hin - das Taxi nicht zu vergessen. Alles ganz ohne Stress und Parkplatzsucherei.
Auch was das Wohnen angeht, pflege ich eine Nerven schonende Variante. Ein Apartment, das von einer Servicefirma betreut wird. Eine mir genehme Mischung aus privatem Heim und Hotelsuite. Nur die Reisevorbereitungen für meine Aufträge erledige ich selbst - ohne Telefon und außer Haus. Nicht jede meiner Gewohnheiten muss für Interessierte transparent und nachvollziehbar sein. Es kostete auch diesmal nur ein wenig vorbereitendes Nachdenken und einen Stadtspaziergang, und schon hatte ich mein Flugticket und eine erste Hotelreservierung am Zielort.
Doch bevor ich meine Reise antreten konnte, hatte ich noch einer privaten Verpflichtung nachzukommen.
Kapitel 2
Ich hatte Doc Ermayer versprochen, die Villa über das Wochenende zu hüten.
Und so fuhr ich am Freitagnachmittag mit der Fähre von Wannsee nach Kladow. Es war die gute alte ,Kohlhase’, und während der halben Stunde, die ich unter einer milden Oktobersonne an Oberdeck verbrachte und über die weiten Havelgewässer voller Segelschiffe und Lastkähne schaute, erinnerte ich mich an die Zeiten, in denen Doc und ich als Angestellte gemeinsam versucht hatten, die so genannte Dritte Welt zu retten. Bis Doc sich aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Pension schicken ließ. Ich selbst machte mich nur wenig später als freier Gutachter und Berater selbstständig, um mich schließlich auf Kurzzeiteinsätze in der Katastrophenhilfe zu spezialisieren. Dabei arbeitete ich vorzugsweise für niederländische, skandinavische und eidgenössische Organisationen, hatte allerdings schon vor Jahren damit aufgehört. Dass es bislang noch niemand aufgefallen war, konnte mir nur recht sein. Ich ließ alle Welt - Doc eingeschlossen
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