Land der guten Hoffnung
Gräsern. Regungslos verharrten Rena Carsten und ich vor der Leiche. Selbst Wishbone bewegte sich nicht - bis uns ein mechanisches Knacken abrupt aus der Andacht riss.
Das Geräusch kam aus dem Bungalow, und kaum war es verklungen, setzte die Musik erneut mit voller Lautstärke ein. Bevor die ersten Takte eines Gitarrensolos verklingen konnten, hatte Wishbone seine Waffe gezogen und stürmte ins Haus.
Ich folgte ihm, sah wie er mit der Pistole im Anschlag die Räumlichkeiten checkte. Nachdem Wishbone sich überzeugt hatte, dass niemand außer uns anwesend war, steckte er seine Waffe weg, und ich ging zu dem tragbaren Musikgerät.
Die Musik kam von einer Kassette. Die Taste mit dem Symbol der Endlosschleife war eingerastet. Wie lange mochte das Band bereits laufen? Ich drückte STOP und EJECT und nahm die Kassette aus dem Gerät. Sie war mit der Hand beschriftet, und noch bevor ich die winzigen Blockbuchstaben erkannte, wurde mir klar: Wir hatten nicht das Original von Bill Withers, sondern die Stimme und Gitarre von Timothy Butler gehört.
Rena verharrte nach wie vor bei Tims Leiche und starrte auf die Brustwunde. Ich ging zu ihr und nahm sie in den Arm. Ihr Körper fühlte sich steif und hölzern an. Kein Schluchzen. Keine Tränen. Es war wohl der Schock. Ich führte sie in den Bungalow, und sie setzte sich an den Tisch und entspannte sich etwas. Dann nickte sie mehrmals mit dem Kopf, als hake sie insgeheim eine wichtige Überlegung nach der anderen ab -und sah mich an.
„Und jetzt.?“
Eine einfache Frage, auf die mir nur schwierige Antworten einfielen.
Wishbone kam mir zur Hilfe. „Lassen Sie mich das erledigen. Sie sind hier in einem fremden Land.“ Er schaute Rena an. „Vermutlich ahnen Sie nicht einmal, wie fremd es für Sie sein kann. Ich bringe Sie mit dem Boot zurück. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch, bevor es dunkel wird.“ Er musterte mich. „Um den Schlamassel hier kümmere ich mich dann später. Mit ein bisschen Glück kann ich alles unter der Decke halten. Es macht keinen Sinn, es offiziell zu machen, wenn es auf elegantere Weise zu regeln ist.“
Elegant war in diesem Zusammenhang ein gewagter Begriff, aber Wishbone war die Ruhe selbst. Jabu Mahlangus Worte kamen mir in den Sinn.
Stany - der ja! Der hatte es schon mit dem ANC, als das in diesem Land noch lebensgefährlich war.
„Und wenn ihn inzwischen jemand findet?“ Rena sah unseren Begleiter an.
„Das ist unwahrscheinlich. Tim hätte sich nicht hierhin verzogen, wenn er auf regelmäßigen Besuch scharf gewesen wäre.“
„Ist die Lodge nur über das Wasser zu erreichen?“ fragte ich ihn.
„Es gibt einen Fußpfad, der mit einigen Umwegen hierhin führt. Aber, wie Tim Ihnen schon sagte, wir befinden uns hier in einem Reservat auf einem abgelegenen Küstenstreifen, der schwer zugänglich ist und keinen interessiert.“
Rena sprang auf. „Ich will hier weg!“ Ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen verließ sie den Bungalow. Ihre zeitweilige Lähmung löste sich nun in Unruhe auf. Auch dem Toten wurde keine Aufmerksamkeit mehr zuteil, als sie langsam die Veranda überquerte und im Licht der schnell sinkenden Sonne den Fußweg zum Meer nahm. Es war seltsam, wie sparsam sie mit ihren Gefühlen für den Vater ihres Kindes umging.
Wishbone ging hinaus und blieb vor dem Leichnam von Timothy Butler alias Ismail Bod stehen.
Ich folgte ihm.
„Er geht jetzt den langen Weg zum großen Schlaf!“ stellte Wishbone fest.
Ich sah den Fliegen und Ameisen beim Festmahl zu. Trotz der frischen Meeresbrise meinte ich bereits einen leichten Geruch von Verwesung zu riechen, aber möglicherweise war das nur Einbildung. Erst jetzt nahm ich das Zirpen der Zikaden wahr. Den Fröschen war es wohl noch zu hell, denn sie hielten sich mit ihrem Gequake auffällig zurück.
„Damit ist Ihre Suche wohl beendet.“
War da ein Lauern in Wishbones Stimme?
Er musterte mich eingehend.
Ich wich seinem Blick aus, betrachtete erneut das Opfer und sagte: „Sieht nicht so aus, als ob er eine Chance hatte.“ „Er war immer ein bisschen überheblich. Einer seiner Lieblingssprüche aus seinem schier unerschöpflichen SomaliRepertoire lautete: Steh nicht für eine Person auf, die du im Sitzen erledigen kannst! So ungefähr wird es sich abgespielt haben.“
Wer es auch getan hatte - er war von der geradlinigen Todesspur abgewichen, die ich mit den Kontakten zu meinen Informanten vorgegeben hatte. Nach Jabu und Betty wäre als Nächster
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