Land der guten Hoffnung
eigentlich der Mann, der lebendig neben mir stand, an der Reihe gewesen. Nicht Timothy Butler.
„Wir sollten die Lady nicht länger warten lassen“, mahnte Wishbone. „Außerdem ist es in einer halben Stunde dunkel.“
Ich ging noch mal in den Wohnraum und nahm die Kassette mit der Musik des Toten an mich. Womöglich holte die Trauer Rena Carsten doch noch ein und machte sie dankbar für ein Souvenir. Mein Blick fiel auf die CD der Stan Wishbone Messengers. Ich wollte zugreifen, zögerte jedoch.
„Nur zu“, sagte Wishbone.
Er stand in der Tür und beobachtete mich.
„Danke!“ Ich steckte auch die CD ein.
Auf dem Weg hinaus, sah ich das Buch, in dem Tim gelesen hatte, neben der Gaslampe liegen. Ich blieb stehen und starrte wie hypnotisiert auf den Einband.
Laurens van der Post. Flamingo Feather.
Instinktiv griff ich zu - und als mir klar wurde, dass Stan Wishbone mich immer noch geduldig beobachtete, kam ich mir mit meinen gesammelten Andenken wie ein Grabräuber vor.
Kapitel 16
Es war fast dunkel, als wir in Hermanus anlegten.
„Ich melde mich morgen Abend bei Ihnen und berichte, wie es gelaufen ist“, gab mir Wishbone mit auf den Weg. „Damit Sie Klarheit haben, bevor Sie abreisen.“
Obwohl ich ihm dankte, fragte ich mich, warum er so großes Interesse am Abschluss meiner Mission und meiner zufriedenen Rückreise hatte. Hing er tiefer mit drin, als es den Anschein hatte? Oder war er wirklich nur der gute alte ANC-Kumpel, der Timmy zur Hand gegangen war, und auch nach dessen Ableben noch hinter ihm aufräumte und Schadensbegrenzung für uns alle betrieb?
„Was halten Sie von Stan Wishbone, Rena?“, fragte ich auf dem Weg zu meinem Wagen.
Sie hatte die ganze Bootsfahrt über geschwiegen, und war auch jetzt noch nicht sonderlich gesprächig. Erst als wir wieder im Wagen saßen und durch die Dunkelheit zurück nach Franschhoek fuhren, meldete sie sich zu Wort.
„Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll. Er ist freundlich und zuvorkommend. Wir müssen ihm wohl vertrauen.“
„War er bei der Entführung dabei?“
„Wie kommen Sie denn darauf?“
„Ging mir nur so durch den Kopf. Hätte ja sein können.“ „Meinen Sie allen Ernstes, ich hätte das verschwiegen?“
Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hielt ich es nicht für ausgeschlossen. Aber vage Verdächtigungen brachten mich in dieser Sache nicht weiter - und da ich auch jetzt noch nicht den Eindruck hatte, Frau Carsten aus tiefer Trauer über Tims Ableben zu reißen, sagte ich: „Das war’s dann wohl!“
„Wie meinen Sie das?“
„Nun - wenigstens Ihr Vater wird halbwegs zufrieden sein, wenn er erfährt, was passiert ist.“
Sie sparte sich eine Antwort.
Insgeheim war ich mir gar nicht so sicher, ob ich schon reif für eine Vollzugsmeldung an Dr. Stamm war. Um die Fahrt etwas unterhaltsamer zu gestalten, drückte ich meine Kassette ins Abspielgerät des Autoradios und stellte den Ton lauter.
She’s a mystery to me...
Das passte.
„Der Privatermittler, den ich in Berlin auf Sie angesetzt habe, muss Sie ja sehr beeindruckt haben“, sagte sie, ohne mich anzusehen.
„Nicht so sehr wie Sie, Rena.“
Weitere Ausführungen zu diesem Thema überließ ich Roy Orbison.
Das späte Abendessen - bei dem unser Oberkellner würdig und professionell vertreten wurde - nahmen wir gemeinsam, aber ohne nennenswerte Gesprächsbeiträge, ein.
Obwohl wir drei Flaschen Wein zum Essen tranken, verzichtete ich darauf, die Merkliste für Doc weiterzuführen, denn wir tranken zu viel, und wir taten es nicht mit Genuss, sondern um uns zu betäuben. So gut die Mahlzeit auch war, sie war eine Art Leichenschmaus für Tim. Deshalb kamen mir auch die Ameisen und Fliegen wieder in den Sinn und andere Insekten und größere Tierarten, die inzwischen am Leichnam des Somali nagen mochten.
Was hatte Wishbone vor?
Genug Brachland, um die Leiche unauffindbar zu verbuddeln, war um die Lodge herum ohne jeden Zweifel vorhanden. Und die Variante, im Morgengrauen vor der Küste die Haie zu füttern, war noch sicherer. Vor allem passte es besser zum ungewöhnlichen Stil der bisherigen Abgänge. Jabu war einem Verkehrsunfall zum Opfer gefallen, Betty aus dem Fenster gefallen, und Timothy beim Angeln über Bord gegangen.
Nur Stany hatte der unbekannte Todesengel bislang verschont.
Nachdem sie die Rechnung abgezeichnet hatte, bat Rena Carsten mich noch zu einem Drink. Ihr Erdgeschossdomizil war eine kleine Suite, deren Wohnraum ebenfalls von einem Kamin
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