Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
war eine Salige.«
»Eine Salige?« Alphart hatte das Wort noch nie gehört.
»Man nennt sie auch Wildfrauen, mein Freund. Wesen, die älter sind als alle Sterblichen und sogar älter als die Sylfen und die Drachen. Ihre Heimat ist das Grundmeer, von wo sie einst kamen. Zerbrechliche Geschöpfe sind sie und zugleich unsagbar mächtig. Über Wind und Wetter vermögen sie zu gebieten, aber schon ein einziger Sonnenstrahl kann ihr Ende bedeuten.«
Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte Alphart die Worte des Druiden als das senile Geschwätz eines Greises abgetan, doch seither hatte er zu viel gesehen und erlebt. »Was hast du zu der Salige gesagt?«, wollte er wissen.
»Ich bat sie, in jener Nacht über uns zu wachen, denn ich war müde und benötigte dringend Schlaf. Ein Sturm wäre am Ufer losgebrochen und hätte uns geweckt, hätten sich Erle genähert.«
»Also gibt es jene andere Welt wirklich. Die Geschichten sind wahr.«
Yvolar legte seine knochige Hand auf Alpharts Schulter. »Natürlich sind die alten Geschichten wahr. Dies ist das Land der Mythen…«
38
Die Gefährten gelangten in ein tunnelförmiges Gewölbe. Auf dem Boden waren Schienen verlegt, die sich in einem dunklen Stollen verloren, und auf den Gleisen standen Bergwerkswagen – Loren mit hohen Wänden aus Holz, von denen jeweils drei miteinander verbunden waren und einen Zug bildeten.
»Normalerweise«, erklärte Urys seinen Begleitern, »benutzen wir diese Wagen, um Gold und Edelsteine aus den Tiefen des Berges zu holen. Heute wollen wir zur Abwechslung einmal uns selbst darin transportieren.«
»Uns transportieren?«, fragte Alphart argwöhnisch. »Soll das heißen, wir gehen nicht zu Fuß weiter?«
»Genau das, mein wackerer Jägersmann«, bestätigte Yvolar und zwinkerte ihm zu. »Wir werden die Bergbahn der Zwerge benutzen. Die Fahrt erspart uns mehrere Tage anstrengenden Marsches durch unwegsames Land.«
Alphart erwiderte nichts darauf. Er sah wohl ein, dass sie fahrenderweise schneller sein würden als zu Fuß, aber zum einen teilte er die Abneigung sämtlicher Allagáiner gegen alles übertrieben Neue, zum anderen konnte er beim besten Willen nicht erkennen, wie sie in den Loren vom Fleck kommen sollten.
»Wie bewegen sich die Wagen denn?«, fragte er.
Urys schaute ihn verständnislos an. »Habt ihr denn keine Minen in Allagáin?«
»Doch, natürlich«, antwortete der Wildfänger. »Aber die Wagen dort werden von Mauleseln gezogen.«
»Maulesel brauchen wir hier nicht«, erklärte Urys nicht ohne Stolz, während er bereits in die vorderste Lore eines Zuges aus drei Bergwerkswagen kletterte. »Glondwaracs Loren werden von jener Kraft angetrieben, die im Inneren der Berge wohnt und die wir Zwerge uns bisweilen zunutze machen.«
Mit diesen Worten wies er auf einen vergitterten Metallkasten an der Vorderseite der Lore, in dem ein faustgroßer, orangerot leuchtender Kristall klemmte; beim flüchtigen Hinsehen hatte der Wildfänger ihn für eine Grubenlaterne gehalten. Eine Flamme schien im Inneren des Kristalls zu brennen, und zu Alpharts Abneigung gegen Neuerungen aller Art gesellte sich auch noch sein Misstrauen gegenüber allem, was auch nur entfernt mit Magie zu tun hatte – und kaltes Feuer roch geradezu danach…
»Hast du den Verstand verloren?«, fuhr er Leffel an, als der sich anschickte, als Nächster in einen der Wagen zu steigen. »Willst du dich auf faulen Gnomenzauber einlassen?«
»Zwergenzauber hin oder her«, meinte der Gilg gleichmütig. »Die Füße tun mir jetzt schon weh. Ich sitz lieber und lass mich kutschieren, als zu laufen.«
»Und du redest lieber, als deinen Verstand zu benutzen«, fügte Alphart brummend hinzu, der gehofft hatte, wenigstens in seinem Landsmann einen Verbündeten zu finden. Als er jedoch sah, wie nicht nur der Gilg, sondern auch Yvolar und der junge Erwyn widerspruchslos in die Wagen stiegen, gab er seinen Widerstand auf. Schließlich sollte niemand behaupten können, dass ein Wildfänger feige wäre…
»Festhalten!«, rief Urys, nachdem sie alle in den Wagen Platz genommen hatten – der Zwerg in der vordersten Lore, hinter ihm Leffel und Alphart und in der letzten Lore Erwyn und Yvolar.
Da die Wagen gewöhnlich nicht dazu dienten, Reisende zu befördern, gab es weder Sitze noch Haltegriffe; lediglich eine schwere Eisenkette umlief den Rand einer jeden Lore, mit deren Hilfe man normalerweise die Ladung festzurrte. Daran klammerten sich Alphart und seine
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