Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
bin?«
»Natürlich wissen wir, wer Ihr seid, Prinzessin«, erklärte der Anführer der Wache zerknirscht. »Aber der Fürstregent hat strikte Weisung erteilt, niemanden zu ihm vorzulassen. Er wünscht, ungestört zu sein.«
Rionna lächelte nachsichtig. »Sicher schließt seine Weisung nicht seine leibliche Nichte ein.«
»Ich bedaure, Prinzessin. Von Ausnahmen hat der Fürstregent nichts gesagt.«
»Dann solltest du wissen, Hauptmann, dass ich hier bin, um meinem Onkel eine wichtige Mitteilung zu machen. Erhält er sie nicht umgehend, könnte das für ihn sehr unangenehme Folgen haben – und ich bin mir nicht sicher, ob du dieses Risiko eingehen solltest. Du weißt, Klaigon ist für seinen Zorn berüchtigt…«
Sie bedachte den Wachmann mit einem vielsagenden Blick und ließ ihre Worte wirken. Tatsächlich ließ seine Entschlossenheit nach. Noch einen Augenblick zögerte er, dann trat er zurück, verbeugte sich und wies seine Leute an, den Weg freizugeben.
»Danke sehr«, sagte Rionna mit einem Lächeln, das so süß war wie Honig.
Das Fell eng um die schmalen Schultern gezogen, stieg sie die Stufen zu Klaigons Gemächern empor. Durch die offen stehende hohe Flügeltür zu jenem Saal, in dem der Fürstregent seinen Tagesgeschäften nachzugehen pflegte, drang der flackernde Schein von Kaminfeuer.
Aber das Knacken und Prasseln der Flammen war nicht das Einzige, das Rionna vernahm. Sie hörte auch Stimmen, die sich in gedämpftem Tonfall unterhielten, und je näher sie kam, desto deutlicher konnte sie verstehen, was gesprochen wurde.
»… interessieren mich nicht«, hörte sie ihren Onkel sagen. »Ich möchte, dass die Angelegenheit ein für alle Mal aus der Welt geschafft wird.«
»Ich verstehe, Hoheit«, erwiderte eine tiefe Stimme, die Rionna entfernt bekannt vorkam.
»Der Wildfänger und der Bauer haben Iónador gestern verlassen. Ich will, dass du ihnen folgst, und sollte es ihnen tatsächlich gelingen, den Druiden zu finden, so sollen deine Pfeile ihrer Mission ein Ende setzen – und auch dem Leben des Druiden!«
»I-ihr wollt, dass ich sie für Euch töte, Hoheit?«
»So ist es. Hast du ein Problem damit?«
»Nein, Herr«, kam es leise zurück.
Rionna stand vor Entsetzen wie versteinert. Sie hatte auch die andere Stimme erkannt. Sie gehörte Morkar, einem Korporal der Turmwache – einem grobschlächtigen, riesigen Kerl mit rabenschwarzem Haar und Augen, die Missgunst und Habgier verrieten. Die Prinzessin hatte ihn nie recht leiden mögen.
Und diesem Mann hatte ihr Onkel soeben den Auftrag erteilt, jemanden kaltblütig und aus dem Hinterhalt zu ermorden.
Rionna schlug die Hand auf den Mund, um keinen Ton von sich zu geben. Konnte, durfte es sein? Hatte sie recht gehört, oder hatten ihre übermüdeten Sinne ihr einen Streich gespielt? Hatte sie zu lange wach im Bett gelegen und trübe Gedanken gewälzt?
Aber sie hörte ihren Onkel weiterreden, und was er sagte, ließ keine Zweifel. »Versagst du«, fuhr er lauernd fort, »würde es besser sein, du kehrtest niemals nach Iónador zurück. Bist du aber erfolgreich, mein guter Morkar, so werde ich dich fürstlich belohnen und dich zum Hauptmann der Turmwache ernennen.«
»Ich bin Euch stets zu Diensten, Herr«, erwiderte Morkar in heuchlerischer Ergebenheit.
»Dann geh jetzt. Du weißt, was von dir erwartet wird. Folge den beiden und tu, was ich dir aufgetragen habe.«
»Zu Befehl, Herr.«
»Enttäusche mich nicht, Morkar.«
»Seid unbesorgt, Herr. Ich werde den Befehl zu Eurer Zufriedenheit ausführen.«
»Gut so. Und nun mach dich auf den Weg.«
»Verstanden, Herr.«
Rionna, die noch immer wie angewurzelt stand, hörte den Tritt genagelter Stiefel auf steinernem Boden. Rasch flüchtete sie sich in eine Nische und presste sich eng an die kalte Felswand, während sich die Schritte des gedungenen Mörders näherten. Rionna hielt den Atem an, spähte verstohlen aus ihrem Versteck. Nur wenige Armlängen von ihr entfernt ging Morkar vorüber, den Bogen über der Schulter, der dem Wildfänger und dem Gilg zum Verhängnis werden sollte.
Rionna war empört und entsetzt über die Absichten ihres Onkels. Gewiss, sie war die Nichte des Fürstregenten und ihm zu Treue und Gehorsam verpflichtet. Dennoch – der Regent tat offenbar Dinge, die sie nicht gutheißen konnte. Die Recht und Gesetz widersprachen und die sie aus tiefster Seele verabscheute.
Dieser Alphart mochte ein roher, ungehobelter Bursche sein und der Gilg ein höchst einfältiger
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