Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
entfachen?«
»Allerdings.«
»Aber die Flamme ist erloschen, schon vor langer Zeit!«
»Dann soll sie wieder neu entbrennen und die Stämme an das erinnern, was wir einst gewesen sind«, entgegnete Galfyn wild entschlossen. »Ein Thing soll einberufen werden.«
13
Rionna fand einfach keinen erquickenden Schlaf. Ruhelos warf sie sich auf ihrem Lager hin und her. Ihre Ängste und Sorgen hielten sie wach. Und wenn sie dann doch für kurze Zeit in einen unruhigen Dämmerzustand fiel, hatte sie stets denselben Traum.
Einen Traum, in dem sie umfangen war von Finsternis und dunkle Qualen litt – bis er kam, um sie aus ihrer Not zu erretten. Jener geheimnisvolle Fremde, von dem sie weder wusste, wer er war, noch wie er aussah.
Aber der Traum bestätigte Rionna in ihrer Absicht, sich dem Willen ihres Onkels zu verweigern und Barand nicht zu heiraten. Ihre Zofe Calma pflegte zu sagen, dass das Herz stets die Wahrheit sprach – und auf diese Wahrheit wollte Rionna hören.
Es war weit nach Mitternacht, als sie den Entschluss fasste, Klaigon ihre Entscheidung mitzuteilen – und zwar auf der Stelle, ehe sie ins Grübeln geriet und es sich vielleicht wieder anders überlegte.
Rionna war klar, dass ihr Onkel über ihren Entschluss nicht erbaut sein würde. Vielleicht würde er sogar einen seiner berüchtigten Tobsuchtsanfälle bekommen. Aber sie konnte nicht anders. Sie spürte, dass da noch mehr war. Mehr, als Reichtum und Prunk Iónadors ihr zu geben vermochten. Mehr, als selbst der mächtige Klaigon ihr bieten konnte.
Nur selten hatte sie bislang die Stadt verlassen, und sie kannte die Berge und Wälder nur von fern. Dabei sehnte sie sich so sehr danach, etwas von der Welt zu sehen, anstatt in graue Mauern eingeschlossen zu sein, die ihr bisweilen mehr wie ein Gefängnis vorkamen denn wie ein Zuhause.
All das musste sie ihrem Onkel sagen. Es war die Sprache ihres Herzens. Auch wenn er es nicht gerne hörte, würde er am Ende nachgeben müssen, wenn er, wie er stets versicherte, nur ihr Wohlergehen im Sinn hatte.
Das Licht des Mondes fiel durch die hohen Fenster ihres Gemachs. Rionna erhob sich von ihrem Lager. Sie fröstelte in ihrem Nachtgewand, deshalb griff sie nach ihrem Umhang aus Fuchsfell und warf ihn sich über. Dann schlich sie leise hinaus auf den Gang.
Wie es hieß, benötigte der Fürstregent kaum Schlaf, und tatsächlich konnte man ihn auch spät nachts noch in seinem Gemach auf- und abgehen hören. Der Hofstaat machte gern Scherze darüber, während Klaigon selbst zu behaupten pflegte, dass die Sorge um sein Volk ihn niemals zur Ruhe kommen ließ.
Das war wohl insbesondere nach einem Tag wie diesem so.
Rionna war bei dem Vorfall im Audienzsaal zugegen gewesen. Sie hatte gesehen, wie die Wachen Leffel Gilg hinausgeworfen hatten, und sie hatte Mitleid für den armen Tropf empfunden, der ein schlichtes Gemüt, aber ein lauteres Herz zu haben schien.
Und Rionna war auch Zeugin gewesen von Alphart Wildfängers forschem Auftritt.
Obwohl die herausfordernde Art des Jägers ihr missfallen hatte – schließlich war er ein Mann aus dem einfachen Volk und hatte dem Fürstregenten Respekt zu erweisen –, war sie auch beeindruckt, dass Alphart sich nicht hatte einschüchtern lassen und Klaigon die Stirn geboten hatte. Rionna nahm an, dass seine Unbeugsamkeit daher rührte, dass er die Enge gemauerter Städte nie kennen gelernt hatte und in der Freiheit der Berge lebte. Und wenn sie ehrlich gegen sich selbst war, dann musste sie sich eingestehen, dass es sein Beispiel war, das sie dazu ermutigte, den letzten Schritt zu wagen und zu ihrem Onkel zu gehen.
Über steile, in den Fels gehauene Stufen gelangte sie hinauf zu Klaigons Gemächern. In der Krone des Túrin Mar, nur wenig unterhalb der Stelle, wo der Turm mit dem schützenden Dach des Schildbergs verschmolz, wohnte der Fürstregent, in Hallen, die eines Königs würdig waren. Die Bergkönige hatten dort einst residiert, bis ihre Macht im Krieg gegen das Waldvolk geschwunden und an die Fürsten übergegangen war. Der Ruhm der Könige war verblasst – der Prunk, mit dem sie sich umgeben hatten, war geblieben.
Durch eine Treppenflucht, deren Wände von hauchdünnen Goldadern durchzogen waren, gelangte Rionna in den Vorraum, wo die Turmwachen Spalier standen. Zu ihrer Verblüffung verwehrte man ihr den Durchgang, indem man ihr den Weg vertrat.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Rionna barsch. »Wisst ihr nicht, wer ich
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