Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
bist alt und hast nichts mehr zu verlieren. Da kannst du hier natürlich in aller Seelenruhe sitzen und Pfeife rauchen. Leffel hingegen hat eine Heimat, um die er sich sorgt.«
»Das ist wahr«, sagte der Druide. »Und wie steht es mit dir, Wildfänger?«
Alphart zerbrach den morschen Ast, mit dem er im Boden herumgestochert hatte. »Ja, auch ich habe nichts mehr zu verlieren«, antwortete er. »Der einzige Mensch, der mir je etwas bedeutet hat, wurde von den Erlen ermordet. Doch ich habe geschworen, ihn zu rächen. Das ist alles, was ich will.«
»Und das glaubst du wirklich?« Yvolar blickte ihn forschend an.
»Natürlich.«
»Du tust das alles kein bisschen für die Menschen von Allagáin? Nicht für Leffel, der dir ein treuer Gefährte geworden ist? Nicht für Prinzessin Rionna, um die du dir noch immer Sorgen machst?«
Alphart schaute auf. »Woher weißt du…?«
»Ich weiß vieles, Wildfänger. Dich selbst magst du täuschen, aber nicht mich. Es gibt einen Grund, weshalb du dich uns angeschlossen hast.«
»Was für einen Grund?«
»Hast du dich nie gefragt, weshalb all dies geschieht? Was es war, das uns zusammenführte?«
»Nein«, erwiderte Alphart trotzig. »Ich bin Jäger, ein einfacher Mann. Das Denken und Grübeln überlasse ich anderen.«
»Wie du willst, Wildfänger. Gute Nacht.«
»Nacht«, erwiderte Alphart mürrisch und bettete sich zur Ruhe.
»Ich wecke dich um Mitternacht.«
»Von mir aus«, knurrte Alphart – und schon kurz darauf hatte ihn erneut tiefer Schlaf übermannt.
Diesmal hatte der Jäger einen seltsamen Traum.
Kurz nach Mitternacht war ihm, als würde er erwachen, obwohl er wusste, dass er noch immer schlief. Er richtete sich auf und blickte hinaus auf den See, in dessen Mitte er ein geheimnisvolles Leuchten gewahrte. Kurz darauf schien eine schlanke Gestalt aus der Tiefe emporzuwachsen. Sie hob die Arme und winkte jemandem zu, der am Ufer stand, und verblüfft erkannte Alphart, dass es kein anderer als Yvolar war.
Der Druide erwiderte den Gruß und winkte zurück. Daraufhin näherte sich das Wesen dem Ufer, wobei es über den glitzernden See zu wandeln schien.
Wie Alphart nun sehen konnte, handelte es sich um eine junge Frau, allerdings war sie bestimmt kein Mensch. Ihre Gestalt wirkte sehr zerbrechlich, ihre Haut schillerte, als wäre sie mit Fischschuppen bedeckt, und ihr graziler Körper war unter ihrem langen weißen Haar verborgen, das bis zu ihren Füßen herabwallte und ihre Gestalt umfloss, die im hellen Mondlicht wie Alabaster schimmerte.
Der Druide und das Wesen schienen sich zu unterhalten; sie tauschten einige Worte und nickten einander zu. Dann entfernte sich die Gestalt wieder, und so unvermittelt, wie sie erschienen war, versank sie in jenem geheimnisvollen Leuchten.
Als Alphart am nächsten Morgen erwachte, erinnerte er sich sofort an den Traum. Oder war es mehr gewesen?
Hatte sich das, was er im Schlaf gesehen hatte, tatsächlich ereignet?
Er erwog, Yvolar danach zu fragen, verwarf den Gedanken aber rasch wieder. Der Druide würde ihn nur verspotten. Also behielt Alphart seinen Traum für sich und schwieg den ganzen Morgen über beharrlich, was wiederum Yvolar stutzig machte.
»Alles in Ordnung, Wildfänger?«, erkundigte er sich, während sie ihr karges Frühstück zu sich nahmen.
»Natürlich«, entgegnete Alphart wortkarg. »Warum?«
»Du machst mir einen seltsamen Eindruck heute Morgen.«
»Ach.«
»Als würdest du über etwas grübeln. Als ob du etwas gesehen hättest, das du nicht verstehst.« Da war wieder dieses listige Glitzern in seinen Augen.
»Was denn zum Beispiel?«, murrte Alphart.
»Wer weiß?« Der Druide zuckte mit den Schultern. »Vielleicht möchtest du es mir ja erzählen.«
»Ich wüsste nicht, was es zu erzählen gäbe, alter Mann«, behauptete Alphart störrisch. »Da du mich nicht geweckt hast, habe ich tief und fest geschlafen.«
»Dann ist es ja gut, mein wackerer Jägersmann«, meinte der Druide, und ein wissendes Grinsen huschte über sein faltiges Gesicht. »Dann ist es ja gut…«
24
Wieder stand Rionna am Fenster ihres Gemachs und blickte hinaus auf die Dächer Iónadors. Und wieder war ihr Herz dabei schwer von Sorge. Längst hatte sie nicht mehr das Gefühl, in einem goldenen Käfig zu sitzen – die Gitter, die Klaigon um sie errichtet hatte, schienen aus blankem Eisen zu bestehen.
Zwar stand Rionna nicht offiziell unter Arrest, doch hatte ihr Onkel ihr untersagt, den Túrin Mar zu
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