Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
überzeugen.«
»Du wirst nichts dergleichen tun!«, fuhr Klaigon sie heftig an. »Im Gegenteil – solltest du den Túrin Mar noch einmal ohne meine Erlaubnis verlassen, werde ich dich unter Arrest stellen!«
»Aber Onkel, ich…«
»Dies ist mein letztes Wort!«, schrie der Fürstregent, dass es von der hohen Decke seines Gemachs widerhallte. »Ich bin der Herrscher von Iónador, und niemand darf es wagen, sich meinem Befehl zu widersetzen. Auch du nicht, Tochter meines einfältigen Bruders! Der Krieg gegen die Barbaren ist beschlossene Sache, und weder du noch irgendjemand sonst wird etwas daran ändern. Hast du verstanden?«
Rionna stand wie vom Donner gerührt – denn sie sah auf einmal den wahnsinnigen Glanz in den Augen ihres Oheims. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Angst vor ihm.
Vielleicht, sagte sie sich, hatten Alphart und Yvolar recht gehabt. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, nach Iónador zurückzukehren…
23
Beim ersten Licht des Tages wurden Alphart und Leffel von Yvolar geweckt. Der Jäger ärgerte sich, dass er trotz seiner beherzten Worte erneut eingeschlafen war, und er stand rasch auf, ehe der Gilg noch richtig wach war.
Sie stärkten sich mit etwas Käse und trockenem Brot und aßen dazu ein paar Blaubeeren, die Alphart sammelte. Dann setzten sie ihren Weg nach Westen fort. Bis zu den Ufern des Búrin Mar waren es fünf Tagesmärsche durch raues, gebirgiges Land, und keiner von ihnen wusste zu sagen, welchen Fährnissen sie unterwegs begegnen würden.
Über steil abfallende, schneebedeckte Hänge und an Felswänden entlang erreichten die Wanderer den Gipfel des Bennanleath, von dessen breiten Rücken sie ins Heimtal abstiegen.
Dann drangen die Wanderer weiter nach Süden vor und gelangten am späten Nachmittag bei einem See an, in dessen türkisfarbenem Wasser sich die Bäume spiegelten, als würden sie nicht in den Himmel, sondern in die Tiefe wachsen.
»Dieser See müsste dir gefallen, alter Mann«, wandte sich Alphart an Yvolar. »Nymphensee wird er genannt, und man erzählt sich, dass allerhand seltsame Wesen darin hausen.«
»Was natürlich alles Unfug ist, nicht wahr?«, erwiderte der Druide lächelnd.
»Allerdings.«
»In diesem Fall wird es dir sicher nichts ausmachen, wenn wir hier nächtigen, oder?«
»Hier? Am See?« Alphart schaute ihn entgeistert an.
»A-aber es gibt hier weit und breit keine Deckung und keinen Schutz.«
»Die alte Tanne dort« – der Druide deutete das Seeufer hinab, wo sich ein riesiger einsamer Baum erhob – »bietet uns Schutz genug. Unter ihr werden wir unser Lager aufschlagen.« Er schaute Alphart listig an. »Oder solltest du etwas dagegen einzuwenden haben?«
»Nein«, erwiderte der Wildfänger zähneknirschend, »hab ich nicht. Was sollte ich auch einwenden?«
»Dann ist es ja gut«, erwiderte der Druide – und das Gespräch war beendet.
Alphart ging und half Leffel, unter den schützenden Ästen der Tanne ein behelfsmäßiges Nachtlager herzurichten. Sie schichteten Moos und Reisig auf und breiteten darüber ihre Decken aus. Während sie dann hinausblickten auf die spiegelnde Fläche des Sees, nahmen sie ein knappes Nachtmahl ein. Die Wolkendecke war aufgerissen und ließ einzelne Sonnenstrahlen hindurch, welche die Gipfel der umliegenden Berge rot erglühen ließen. Kein Windhauch regte sich, nur das ferne Kreischen der Vögel war zu hören – ein kurzer, flüchtiger Augenblick des Friedens.
»Schade«, sagte Leffel leise.
»Was meinst du?«, fragte Yvolar, der sich seine Pfeife angesteckt hatte und sie genüsslich schmauchte.
»Es ist wunderschön hier. So schön, dass man beinahe vergessen könnte, was draußen im Land vor sich geht.«
»Nicht wahr?«
Leffel nickte, und im Licht der Dämmerung war zu sehen, wie ihm Tränen in die Augen traten. »Ich will nicht, dass das alles zerstört wird und untergeht.«
»Das will ich auch nicht, Sohn.«
»Aber die Erle sind hier, ehrwürdiger Druide. Und wenn sie wirklich so schrecklich sind, wie Ihr sagt…« Er schniefte.
»Es sind grässliche Kreaturen, gezüchtet nur zu dem Zweck, zu morden und zu zerstören«, sagte Yvolar und nickte düster. »Aber du vergisst, mein guter Gilg, dass es immer Hoffnung gibt. Von Anbeginn der Zeit hat sie die Menschheit geleitet. Deshalb gräme dich nicht, sondern genieße den Augenblick. Lebe, statt dich um Dinge zu sorgen, die du nicht beeinflussen kannst.«
»Ha«, machte Alphart. »Du hast leicht reden, Stocker. Du
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