Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
Grabmal des Helden aus dem Berg gearbeitet hatte. Wie es hieß, hatten die Sylfen den Tod ihres Anführers und größten Helden viele Tage lang betrauert. Sie hatten den Berg nach dem Instrument genannt, das ihnen den Sieg und den Sterblichen die Rettung gebracht hatte: korin nifol – Nebelhorn. Dann aber waren sie vom Berg hinabgestiegen und niemals wieder zurückgekehrt. Über den Boden zu wandeln, den einst Sylfenfüße berührt hatten, jagte Leffel wohlige Schauer über den Rücken und beflügelte ihn nur noch mehr.
Als würden sich die Seelen all derer, die damals gefallen waren, auf dem Gipfel versammeln und ihm und seinen Gefährten laut zujubeln, fühlte er plötzlich eine innere Kraft, wie er sie nie zuvor verspürt hatte. Auf eine Weise, die er selbst nicht genau zu beschreiben vermochte, kamen ihm das Grabmal und seine Inschrift vertraut vor, und ein wenig fühlte es sich an, als würde er nach langer Abwesenheit wieder nach Hause zurückkehren. Natürlich war das Unsinn, aber zum allerersten Mal in seinem Leben hatte der Gilg tatsächlich das Gefühl, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein.
Je näher sie kamen, desto deutlicher war zu erkennen, dass das steinerne Monument einen Zugang hatte. Er lag auf der dem Tal zugewandten Seite. Natürlich nahmen Leffel und seine Begleiter an, dass dieser Eingang verschlossen wäre – umso größer war ihre Überraschung, dass es weder eine Tür gab noch sonst ein anderes Hindernis, das den Zutritt verwehrte.
»Das ist seltsam«, meinte Walkar misstrauisch.
»So seltsam nun auch wieder nicht«, konterte Mux, »es dir an Wissen nur gebricht. Kein Schloss, kein Riegel braucht der Hort. Der Sylfen Zauber schützt den Ort.«
»Bist du sicher?« Der Bärengänger schnaubte, als trüge er noch immer die Gestalt des Tieres. »Immerhin ist dies Muortis’ Land.«
Zögernd traten sie auf das riesige Grabmal zu. Eine Reihe von Stufen führte hinab ins Innere des Bauwerks, wo unergründliche Schwärze nistete. Mit vor Aufregung zitternden Händen holte der Gilg eine Fackel und Zunderzeug aus einem seiner Vorratsbeutel. Die lodernde Flamme in der Hand, stieg er die Treppe hinab.
Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, erwartete er halb, dass ihn etwas aufhalten, dass er auf eine unsichtbare Wand treffen oder eine rätselhafte Kraft ihn zurückstoßen würde – aber nichts dergleichen geschah.
Unbehelligt trat der Gilg durch die schmale Pforte, gefolgt von seinen ungleichen Begleitern. Der Gedanke, dass sie die Ersten waren, die seit Urzeiten diesen denkwürdigen Ort betraten, ließ sie erschaudern. Wenige Schritte später, die sie durch einen schmalen, lichtlosen Felsengang führten, betraten sie die Grabkammer des Helden…
… und sogen vor Entsetzen scharf die Luft ein!
Denn es war auf schmerzliche Weise offensichtlich, dass sie in Wirklichkeit nicht die Ersten waren, die das Monument nach all den Jahrhunderten betraten. Jemand war ihnen zuvorgekommen – und hatte schrecklich gewütet.
Die Deckplatte des steinernen Sarkophags, der die Mitte des Raums einnahm, war zertrümmert worden, und die Bruchstücke lagen überall umher.
Der Drang, an das offene Grab zu treten und einen Blick hineinzuwerfen, war so stark, dass Leffel ihm nicht widerstehen konnte. Die Fackel in der Hand, die das Bild der Zerstörung flackernd beleuchtete, näherte er sich der ewigen Ruhestätte und schaute hinein. Was er sah, erschütterte ihn zutiefst.
Es waren sie sterblichen Überreste Danaóns – oder vielmehr das, was die Grabräuber davon übrig gelassen hatten. Nur ein Schädel und ein paar wenige bleiche Knochen lagen in der Grube.
Der Kopf war ebenmäßig geformt und länglich, die Stirnpartie stark ausgeprägt. Leffel fand, dass die knochigen Züge des Sylfenfürsten selbst im Tode noch Autorität und Würde ausstrahlten, doch aus den leeren Augenhöhlen schien auch Bedauern zu sprechen.
Trauer überkam den Gilg, als wäre der große Danaón nicht schon vor Tausenden von Jahren gestorben, sondern eben erst von ihnen gegangen. »Wer hat das nur getan?«, fragte er leise. »Wer hat diesen Ort so grässlich entehrt?«
»Die Frage dürfte sich erübrigen«, erwiderte Walkar grimmig und hob etwas auf, das zwischen Unrat und Trümmern auf dem Boden gelegen hatte. Es war das Blatt einer Axt, deren Schaft offenbar zerbrochen war, als damit auf den Sarkophag eingeschlagen worden war, und deren Besitzer sie daraufhin achtlos weggeworfen hatte. Die Schneide war schartig, das
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