Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
Bewusstsein raubte, hob er den Eschenstab und stieß ihn seinem Feind entgegen, das untere, zugespitzte Ende voraus.
Es geschah blitzschnell, und noch ehe Muortis reagieren konnte, bohrte sich das Holz tief in seine Brust.
Der Nebelherr, der nicht mehr mit einem Angriff gerechnet hatte, stand wie vom Donner gerührt. Seine Glutaugen flackerten, während er auf den Stab hinabstarrte, der in seinem Brustkorb steckte. Ein heiseres Zischen drang aus seiner Nasenöffnung, und dann, als der lichte Zauber des Stabs seine Wirkung tat, verfiel Muortis in kreischendes Geschrei.
Helle Blitze schlugen aus der Wunde, die der Druidenstab geschlagen hatte und in der er noch immer steckte – Entladungen gleißender Energie, die den Nebelherrn umhüllten und ihm entsetzliche Qualen bereiteten.
Die Hexenklinge entglitt seinem Griff und fiel mit lautem Klirren zu Boden, und als die nächste Erschütterung die Stollen und Gewölbe Urgulroths erfasste, konnte sich der Herrscher des Eises nicht länger auf den Beinen halten. Heulend vor Hass und Wut, ging Muortis zu Boden, während ihn sein Umhang wie ein dunkles Leichentuch umhüllte.
Yvolar sah den Erzfeind im Licht der Blitze, die ihn bei lebendigem Leibe verzehrten, untergehen und erlebte einen letzten, süßen Moment der Erleichterung und des inneren Triumphs – ehe er die Augen schloss. Friedlich entschlief der Druide inmitten des finsteren Hortes, während der Todeskampf des Nebelherrn weiter andauerte.
Sich in gellenden Schreien ergehend, die bis in den letzten Winkel Urgulroths zu hören waren, wand sich Muortis am Boden, gepeinigt von jenen Kräften, die er verraten und geleugnet hatte. Doch anders als den unzähligen Kreaturen, die er zu Tode gebracht, die er gefoltert und gequält hatte, wurde ihm die Gnade eines jähen Endes zuteil. Denn als ein neuerlicher Stoß die Berge erschütterte und die Gletscher sich lösten, hielten die alten Gewölbe Urgulroths den Naturgewalten nicht länger stand.
Der Nebelherr schrie entsetzlich, als er im flackernden Blitzlicht sah, wie die Decke seines Thronsaals Risse bekam. Im nächsten Augenblick stürzte sie herab und begrub ihn unter sich…
Die Natur war entfesselt, die Gipfel in Aufruhr.
Stollen um Stollen, Gewölbe um Gewölbe brach in sich zusammen, verschwand unter gewaltigen Gesteinsmassen. Wer von den Dienern des Nebelherrn noch in Urgulroth weilte, den ereilte das Schicksal seines Herrschers. Nur einer einzigen Kreatur gelang es, durch die dunklen Schächte zu entfliehen, durch die sie in die unterirdische Festung gelangt war – für alle anderen bedeutete Muortis’ Tod auch das eigene Ende.
So ungeheuer waren die Kräfte, die das Sylfenhorn heraufbeschworen hatte, dass sie nicht nur den Korin Nifol erschütterten, sondern auch alle anderen Berge Allagáins; überall im Wildgebirge regten sich die steinernen Giganten, als wollten sie das Eis Urgulroths von ihrem Rücken schütteln. Und tatsächlich löste sich ein Ferner nach dem anderen, und rauschend und tosend donnerten Schnee und Eis zu Tal, in Lawinen, die alles und jeden unter sich begruben. Felsen wurden mitgerissen, Bäume barsten wie morsches Geäst. Bis weit hinein in die Klüfte Dorgaskols, die sich von den Hängen des Bálan Bennian bis zum flachen Gipfel des Sylfenbergs erstreckten, über den Danaón und die Seinen einst gekommen waren, spürte man die Erschütterungen, und so manche finstere Kreatur, die bis zuletzt darauf gewartet hatte, die schaurigen Pfründe von Düsterfels zu verlassen, wurde von den tosenden Massen verschüttet.
Dorgaskol, die dunkle Heimat der Unholde, erlitt das gleiche Schicksal, das auch Muortis’ Feste zuteil geworden war. Klüfte barsten, Schluchten und Höhlen stürzten ein, und tosende Wildbäche, die befreit worden waren von den Fesseln des Eises, rauschten zu Tal, um sich zum Bolghandir zu vereinen, zum Glitzernden Fluss.
Auch die weiter östlich gelegenen Berge schüttelten das eisige Joch, das der Nebelherr ihnen auferlegt hatte, von ihren steinernen Schultern: Lärmend und rauschend brachen die Lawinen zu Tal, einem Heer weiß gewandeter Reiter gleich, deren Banner Wolken der Vernichtung waren, die von den Hängen aufstiegen und im Licht der späten Sonne glutrot leuchteten – und nicht wenige, die dies sahen, behaupteten, das Gericht über den Bergen hätte begonnen.
68
»Nimm das, elende Kreatur!«
Mit zusammengebissenen Zähnen rammte Galfyn dem Angreifer, der sich soeben über die
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