Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
Zinnen schwingen wollte, das Schwert in die Brust. Der Kriegsschrei des Erls erstarb in einem hohlen Gurgeln – doch sofort kam der nächste Unhold über die Leiter herauf.
Noch ehe Galfyn reagieren konnte, fällte die Axt des Erls einen Waldkrieger, der neben dem Häuptling des Falkenclans stand. Sterbend sank der Mann nieder, in den See aus rotem Menschen- und schwarzem Erlblut, der den Wehrgang bedeckte.
»Für Allagáin!«, ließ sich eine helle Frauenstimme an Galfyns Seite vernehmen, und aus dem Augenwinkel sah er, wie Rionna vorsprang und den Unhold attackierte. Was ihr an Übung im Kampf fehlte, glich sie durch Mut und viel angeborenes Geschick aus.
Grunzend wollte der Erl sie mit dem schartigen Blatt seiner Axt vom Turm fegen, aber Rionna duckte sich, und so schnell wie der Stachel eines Insekts zuckte ihr Kurzschwert vor und fuhr in die Gedärme des Unholds. Der Erl verfiel in wüstes Geschrei und brach in die Knie – Galfyns Klinge, die wie das Beil des Henkers in seinen Nacken fuhr, hackte ihm den Kopf ab.
Gemeinsam mit einem jungen Allagáiner legten Galfyn und Rionna Hand an die Leiter, die die Erle angelegt hatten, und stießen sie mit aller Kraft von sich – die Unholde, die den Wehrgang als Nächstes hatten erklimmen wollen, verschwanden schreiend in der Tiefe.
Doch was waren eine Handvoll getöteter Erle gegen die Massen, die gegen Iónador anrannten? Was eine einzige abgewehrte Leiter gegen die unzähligen, die an die Mauern angelegt waren und über die das Heer der Angreifer über die Zinnen quoll?
Galfyn sah, wie immer mehr Erle die Wehrgänge erstürmten. Noch konnten sie mit Mühe zurückgehalten werden, aber der Blutzoll, den es forderte, sie abzuwehren, war fürchterlich. Nicht mehr lange, dann würde an irgendeinem Abschnitt der langen Mauer die Verteidigung zusammenbrechen. Das schwächste Glied der Kette würde nachgeben und damit alle anderen mit ins Verderben reißen. Es war ein hoffnungsloser Kampf, dennoch fochten sie mit aller Verbissenheit weiter.
Denn der Feind, der zu Tausenden gegen die Mauern anrannte, kannte weder Nachsicht noch Gnade…
Plötzlich gab es eine Erschütterung. Galfyn nahm an, dass sie von den Trollen herrührte, die sich in ihrer Raserei gegen die Mauern warfen, um sie zum Einsturz zu bringen. Als jedoch ein zweites und ein drittes Beben folgten und jedes davon noch stärker war als das zuvor, ging dem jungen Häuptling auf, dass dies nicht das Werk von vor Blutdurst halb wahnsinniger Unholde sein konnte.
Aber was war es dann?
Indem er einen Erl niederstach, der todesmutig über die Zinnen sprang, setzte Galfyn zur Brüstung und schaute hinab auf die Myriaden von Angreifern, die die zu Eis erstarrte Fläche des Spiegelsees in ein tosendes Meer verwandelt hatten.
»Seht, Herr!«, rief einer der Bogenschützen aus Allagáin. »Das Eis – es bricht…!«
Unruhe brach unter den Angreifern aus. An einigen Stellen stoben Erle auseinander wie aufgescheuchtes Federvieh, und voller Verblüffung sah Galfyn, dass sich tatsächlich Risse im Eis bildeten.
Schlagartig breiteten sie sich aus, bildeten im Nu ein netzartiges Geflecht, das den gesamten See überzog und das Heer der Erle auseinanderriss. Und noch ehe einer der Unholde sich in Sicherheit bringen konnte oder auch nur begriff, was geschah, spritzten hier und dort Fontänen türkisblauen Wassers in die Höhe, und mit infernalischem Lärm barst das Eis. Schollen unterschiedlicher Größe bildeten sich, die zusammenstießen und sich übereinanderschoben, und die Erle, die sich wie wild gebärdeten, beschleunigten ihren Untergang damit nur noch.
Schon stellten sich die ersten Schollen steil, fast senkrecht auf, sodass die Unholde, die sich lauthals zeternd daran festzuhalten versuchten, ins eiskalte Wasser stürzten; das Gewicht ihrer Rüstungen und Kettenhemden zog sie sogleich in die Tiefe. Nicht weniger schlimm traf es jene, die über die angelegten Sturmleitern die Mauern Iónadors hatten erklimmen wollen. Denn kaum begann der Grund zu wanken, kippten die Leitern nach hinten oder seitlich weg und rissen all jene, die sich auf ihnen befanden und schreiend an sie klammerten, in den Tod.
Innerhalb weniger Augenblicke war das riesige Heer, das über den See marschiert war, um Iónador einzunehmen, in Auflösung begriffen. Allenthalben versanken Erle im See oder klammerten sich schreiend an Eisschollen, während jene, die es noch geschafft hatten, die Wehrgänge zu erklimmen, von deren Verteidigern
Weitere Kostenlose Bücher