Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
mitgerissen wurde.
Kreischend versuchte die blasse Kreatur sich der Schneewolke zu entwinden, die westlich der Goldenen Stadt talwärts donnerte und die Häuser und Türme erzittern ließ – und von der dunklen Kraft seines Gebieters getrieben, gelang es dem Eisdrachen tatsächlich noch einmal, sich aus dem Sog der Vernichtung zu lösen, jedoch nicht mehr kraftvoll und majestätisch wie noch zuvor, sondern heiser kreischend und hektisch mit den Flügeln schlagend. Entsprechend war die Kreatur, deren eisiger Atem die Welt vergiftet hatte, nicht mehr Herr ihrer Sinne – ihre Bosheit jedoch hatte nicht nachgelassen.
Pfeilschnell hielt sie auf Iónador zu, getrieben vom Willen, auch noch jene ins Verderben zu reißen, die die Urgewalt der Lawine bislang verschont hatte. Zu beiden Seiten des riesigen Schildes, der die Stadt überragte, prasselten Schnee- und Eismassen in die Tiefe, Iónador selbst jedoch blieb bislang verschont. Dies wollte der Dragan Daic ändern…
Noch einmal holte der Eisdrache Atem, wissend, dass das Ende seiner Feinde auch sein eigenes sein würde. Aber in seinem Hass und seiner Zerstörungswut scherte er sich nicht darum. Sein einziges Bestreben war es, den Befehl seines dunklen Herrschers auszuführen, und dieser Befehl lautete Vernichtung.
Schon hatte er die Stadtmauer erreicht und flog darüber hinweg – auf die Pfeile und Speere, die ihm von unten entgegenzuckten, seine Panzerung jedoch nicht zu durchdringen vermochten, achtete er gar nicht. Sein Ziel war das gewaltige Bauwerk, das im Zentrum der Stadt aufragte – und auf das er im nächsten Augenblick seinen letzten noch verbliebenen Eisatem spie.
Erneut schoss blau leuchtendes Feuer aus dem Rachen der Bestie, das den Túrin Mar an der schmalsten Stelle traf. Augenblicklich bildete sich eine dicke Eisschicht auf dem Gestein und hüllte es ein – im nächsten Moment warf sich die furchterregende Kreatur mit der ganzen Wucht ihres Anflugs dagegen.
Die Wirkung blieb nicht aus.
Während der Drache mit gebrochenem Rückgrat zurückkippte und unter kraftlosen Flügelschlägen in die Tiefe stürzte, zerbarst das Eis, das er um den Turm gelegt hatte, in einer Eruption vernichtender magischer Kraft – und mit ihm auch das darunter liegende Gestein.
Der Große Turm von Iónador, einst die Keimzelle der Stadt und über Jahrhunderte der Sitz von Königen und Fürstregenten, zerbrach mit fürchterlichem Getöse. Trümmer stoben in weitem Bogen davon und gingen prasselnd über der Stadt nieder, durchschlugen Dächer und Wände und hinterließen ein Kraterfeld. Staub stieg auf, der sich zu einer riesigen Wolke ballte und aus dem dort, wo sich noch vor wenigen Augenblicken der Túrin Mar befunden hatte, nur noch ein schroffer Stumpf ragte. Darüber wölbte sich, einer immensen Last gleich, der gewaltige Überhang des Schildberges.
Als Galfyn dies sah, wurde ihm jäh bewusst, dass der Große Turm ungleich mehr gewesen war als ein beeindruckendes Bauwerk – nämlich die Stütze, die die Masse des Überhangs davor bewahrt hatte, herabzustürzen und Iónador unter sich zu zermalmen.
»Flieht!«, brüllte er aus Leibeskräften, einer plötzlichen Eingebung gehorchend. »Verlasst die Stadt, so schnell ihr könnt! Iónador ist dem Untergang geweiht…!«
69
Die Erde bebte, die Gipfel schienen zu wanken.
Noch immer konnte Leffel Gilg nicht begreifen, dass er es gewesen sein sollte, der all dies bewirkt hatte – aber offenbar war es der Klang des Sylfenhorns, der die Berge erzittern und das Eis des Gletschers bersten ließ.
Von einem Augenblick zum anderen befanden sich die Gefährten inmitten eines Infernos unvorstellbaren Ausmaßes. Die dichte graue Wolkendecke war aufgerissen, und gleißende Lichtschäfte strahlten zur Erde. Sprünge durchzogen die Eiszunge des Ferners und breiteten sich mit atemberaubender Geschwindigkeit aus; tiefe Klüfte bildeten sich, aus denen Schnee und Firn in die Höhe schossen, als wäre der Berg eine riesige Kreatur, die eisigen Atem aus ihren Nüstern stieß. Und im nächsten Moment begann sich der Boden, auf dem Leffel, Mux und Erwyn noch immer wie angewurzelt standen und sich die Ohren zuhielten, zu bewegen.
Mit markigem Knacken tat sich eine neue Gletscherspalte auf, unmittelbar dort, wo das Sylfenhorn im Schnee lag – und von einem Augenblick zum anderen war das magische Instrument in der schier unergründlichen Tiefe verschwunden!
Weder Leffel noch einer seiner Gefährten blieb Zeit,
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