Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
spürte diese Furcht, die lähmende Angst vor dem Unbekannten, das jenseits des Nebels lauern mochte, und wenn er in die Gesichter der anderen blickte, erkannte er, dass sie ähnlich fühlten. Aber anders als die Vergessenen, die den Tieren näher waren und deren Instinkte letztlich stärker waren als jeder gute Wille, wollten sie die Barriere überwinden, um zu Ende zu bringen, was vor so langer Zeit begonnen wurde. Ob dies die klügere Entscheidung war, bezweifelte Alphart. Vielleicht, sagte er sich, sollten sie alle dem inneren Drang gehorchen, der ihnen zur Umkehr riet.
Doch sie stiegen von den Schlitten, schnallten sich die großen, länglichen Schilde, die ihnen die Vergessenen mitgegeben hatten, auf die Rücken und behängten sich mit Proviantsäcken. Alphart und Urys steckten sich ihre Äxte in die Gürtel, und Alphart machte auch den Köcher mit den Pfeilen dort fest, während er den Bogen schulterte. Dann setzten sie ihren Weg zu Fuß fort. Im einen Augenblick konnten sie die Umrisse der beiden Höhlenmenschen und ihrer riesigen Lasttiere noch im dichten Schneetreiben erkennen, dann waren sie auch schon verschwunden, als ob es sie nie gegeben hätte.
»Ob wir sie jemals Wiedersehen?«, fragte Leffel leise.
»Wer weiß«, erwiderte Yvolar gegen das grimmige Heulen des Windes. »Niemand vermag mit Bestimmtheit zu sagen, welche Rolle die Geschichte den Vergessenen zugedacht hat.«
Das Vorankommen war mühsam. Beim Versuch, die Schneewehe zu überwinden, sanken die Gefährten bis zu den Hüften ein, und es bedurfte einer gemeinsamen Anstrengung, das Hindernis zu bewältigen. Während Yvolar ein kurzes Stück vorausging, um das Gelände zu erkunden, übernahmen es Alphart und Walkar, ihre an Körperkraft oder Größe unterlegenen Gefährten durch den hohen Schnee zu bugsieren, indem sie sie teils schleppten, teils trugen.
Jenseits der Schneewehe schien die Luft noch eisiger zu sein. Düsternis senkte sich in die Herzen der Gefährten. Alphart und der Bärengänger starrten finster vor sich hin, während Erwyn furchtsam in Richtung seines Ziehvaters Urys blickte. Selbst das sonst so unbekümmerte Gemüt des Koblings schien betroffen.
»Kein Blick durch dichten Nebel dringt; niemand weiß, was er uns bringt«, reimte Mux mürrisch. »Doch wenn misslingt, was vor uns liegt, dann ist die ganze Welt besiegt.«
»Wenn der Kampf gegen Muortis verloren geht«, bestätigte Yvolar grimmig, »so teilen alle Sterblichen ein und dasselbe Schicksal. Denn für die Schergen des Bösen ist es ohne Belang, welcher Rasse und welchem Stamm man angehört. Das Leben an sich ist ihr Feind, und niemand wird ihnen dann noch entrinnen.«
Der Gilg ließ daraufhin ein Wimmern vernehmen, und der junge Erwyn blickte so verschreckt drein, dass Alphart nicht länger schweigen wollte. »Potztausend, Druide!«, polterte er los und machte damit seiner eigenen Frustration ein wenig Luft. »Hast du denn keine ermutigenden Worte für deine Gefährten?«
»Das waren ermutigende Worte«, erwiderte Yvolar mit freudlosem Lächeln, und so leise, dass nur der Wildfänger ihn verstehen konnte, fügte er hinzu: »Würde ich euch etwas über die wirkliche Natur Muortis’ und seiner Diener erzählen, so würde blankes Grauen euch packen und daran hindern, auch nur einen einzigen weiteren Schritt zu machen.«
»Verdammt«, knurrte Alphart, »ich wusste, dass du so etwas sagen würdest.« Er wandte sich ab, um sich wieder um die anderen zu kümmern.
Yvolar führte die Gruppe an. Obgleich Schnee und Nebel auch ihm die Sicht raubten und den Gipfel des Berges seinem Blick entzogen, wusste er dennoch, wohin er seine Schritte zu setzen hatte. Der Druide erinnerte sich genau an den Ort, an dem vor Urzeiten die letzte Schlacht geschlagen worden war; die Schleier der Zeit waren leichter zu lüften als jene, die der finstere Nebelherr gesandt hatte, und so war Yvolars inneres Auge in die Vergangenheit gerichtet, während er sich im Hier und Jetzt bewegte.
Dennoch war es ein gefährliches Unterfangen.
Der schneebedeckte Boden war trügerisch. Jederzeit konnte sich der hart gefrorene Firn lösen oder sich eine unerwartete Kluft auftun, und der dichte Nebel sorgte dafür, dass sich die Gefährten an unsichtbaren Abgründen entlangbewegten, die sie zwar nicht sehen konnten, von deren Existenz Yvolar aber wusste und vor denen die Instinkte des Wildfängers und des Bärengängers warnten; sie konnten den eisigen Odem der Tiefe spüren und fühlten das
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