Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
einer Zeit, an die sie heute jedoch nicht mehr glauben. Selbst Danaón konnte mich nicht ganz bezwingen, aber durch sein angeblich so heldenhaftes Opfer wurde ich in die Tiefen Urgulroths gebannt, von wo ich erst zurückkehren konnte, nachdem ich neue Kräfte gesammelt hatte und die meisten von Ventars Erben die sterbliche Welt verlassen hatten. Du bist der Letzte von ihnen. Yvolar hat stets gewusst, dass alle Hoffnung der Menschen auf dir ruhen würde, sollte ich jemals zurückkehren – und ich wusste es ebenfalls.«
»D-das ergibt keinen Sinn«, widersprach Erwyn, der sich wieder ein wenig gefangen hatte. »Wenn Ihr die ganze Zeit über von meiner Existenz wusstet, wieso habt Ihr mich dann nicht längst töten lassen?«
»Weil es einfacher für mich war zu warten.«
»Zu warten? Worauf?«
»Törichter Knabe – darauf, dass dich der alte Narr direkt zu mir führte!«
Muortis’ Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Erwyn war wie vom Donner gerührt.
Sollte das die Wahrheit sein?
Hatte der Herrscher des Eises tatsächlich von Yvolars Plänen gewusst? Hatte er die ganze Zeit über nur darauf gelauert, dass der Druide den Erben Ventars zu ihm führte? Hatte er Yvolar ohne dessen Wissen zu seinem Werkzeug gemacht?
»Nur alle sieben Jahre«, fuhr Muortis zu Erwyns wachsendem Entsetzen fort, »erscheint die Zwergenzwing in der Welt der Sterblichen, und selbst dann ist es nicht leicht, sie zu betreten. Lange Zeit waren meine Kräfte zu schwach, und ich hatte nicht die Möglichkeit, eine Armee aufzustellen, die groß und schlagkräftig genug gewesen wäre, Alwys und seine elende Gnomenbrut zu besiegen. Also wartete ich ab, bis die Zeit reif war. Reif, um zurückzukehren. Reif, um meine Feinde zu bezwingen. Verstehst du, was ich meine, Dochandar?«
»Ich verstehe…«, murmelte Erwyn niedergeschlagen. Muortis kannte also sogar seinen Sylfennamen, was bedeutete, dass er tatsächlich alles wusste. Damit war jedwede Hoffnung dahin; Yvolars Pläne waren kläglich gescheitert. Mehr noch: Während der Druide geglaubt hatte, zum Besten der Menschen zu handeln, hatte er dem Herrscher des Bösen in Wahrheit noch in die Hand gearbeitet.
Wie eine dunkle, mondlose Nacht senkte sich Verzweiflung über den Jungen. Tränen traten ihm in die Augen und wurden auf seinen Wangen sofort zu Eis.
»Ein Jammer, nicht wahr?«, spottete Muortis. »Und dabei hattest du gedacht, zu Höherem geboren zu sein. Törichter kleiner Junge! Hast du das wirklich geglaubt? Dass du mir, dem Herrscher der Nebel und des Eises, gefährlich werden könntest? Aber tröste dich, der alte Mann hat sich ebenso täuschen lassen wie du. Nur aus einem Grund habe ich ihn am Leben gelassen: Ich will sein Gesicht sehen, wenn die Welt in Kälte erstarrt und er erkennen muss, dass all sein Streben vergeblich war; wenn er als Letzter der Alten gezwungen ist, mit anzusehen, welches Schicksal die Sterblichen erleiden, die zu schützen er einst feierlich geschworen hat. Ich spreche von Rache, Dochandar. Und von Bestimmung und Erfüllung. In der kalten Glut von eisigem Feuer wird dein unnützes kleines Leben verlöschen – und damit alle Hoffnung, die der Druide in dich setzte.«
Maßloses Entsetzen packte Erwyn. Der Nebelherr jedoch warf den Kopf in den Nacken, und dröhnendes Gelächter drang unter der Kapuze hervor, um das Eis in der Höhle erzittern zu lassen.
23
Die Gefährten waren nur noch ein kurzes Stück weitermarschiert. Unterhalb eines Felsens, der ein wenig Schutz versprach, hielten sie inne. Die Stimmung war gedrückt, niemand sprach ein Wort. Nachdem sie mit Urys bereits ein Kamerad verlassen hatte, hatten sie nun auch noch Erwyn verloren – und mit ihm alle Hoffnung, ihre Welt zu retten.
Yvolar brach als Erster das Schweigen. »Meine Freunde«, begann er, »offenbar ist eingetreten, wovor ich mich insgeheim die ganze Zeit gefürchtet habe und was ich mit aller Macht zu verhindern versuchte: Muortis, unser aller Feind, hat Kenntnis bekommen von Erwyns wahrer Identität.«
»Wie kann das sein?«, fragte Leffel einfältig. »Wir alle waren stets darauf bedacht, das Geheimnis niemandem zu verraten.«
»Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort«, knurrte Walkar und ließ den Blick in die Runde schweifen. »Verrat!«
»Was schaust du mich dabei an?«, begehrte Alphart auf.
»Wer wehrlose Tiere tötet, dem ist alles zuzutrauen.«
»Du willst ernstlich behaupten, ich hätte dem Feind das Geheimnis zugetragen? Dass ich den Jungen
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