Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
bereits sein nächstes Opfer vornahm.
Er tötete die Frau ohne Umschweife, hielt dabei nicht mal inne, und als er sich dem nächsten Mann zuwandte, sah sie seine Augen, heiß wie zerrinnender Bernstein.
»Zurück!«, rief sie. »Weg von ihm!«
Er holte aus und stieß zu, tobte über das Feld wie ein Dämon, tötete mit brutalem, präzisem Ungestüm. Als hätte man einen wütenden Tiger mitten in einer Herde hilfloser Lämmer losgelassen. Schnell, unermüdlich, mörderisch.
Ein Schuss krachte. William zuckte. Cerises Herzschlag setzte aus.
William griff sich den Dolch eines gefallenen Gegners, fuhr herum und schleuderte ihn. Die Klinge sauste durch eng stehende Gitterstäbe im zweiten Stock. Eine Frau sackte gegen das Gitter und stürzte mit dem Messer im Hals ab.
William grinste, fletschte die Zähne und tötete weiter.
Cerises Arme überlief Gänsehaut.
Um sie standen ihre Leute auf, um besser sehen zu können. Niemand sagte ein Wort. Die Familie stand da und sah entsetzt und schweigend zu.
Das also hielt er im Innersten angekettet.
»Er ist irre«, meinte Richard neben ihr.
»Ich weiß«, stimmte sie zu. »Er hat das die ganze Zeit zurückgehalten. Unglaublich, oder?«
Richard glotzte sie lange an, dann richtete er die Augen zum Himmel. »Was macht ihr da oben eigentlich alle? Ihr habt wohl den Verstand verloren.«
»William?«
Das Mädchen. Ihre Stimme verschwommen in seinem Kopf. Ihr Geruch umgab ihn, verdrängte den Gestank nach heißem Blut.
Cerise. Sie rief ihn.
William schlug die Krallen in den blutigen Nebel.
Da berührte ihn ihre Hand. Er packte sie und zog sie an sich. Sofort konnte er wieder kristallklar sehen, er erkannte sie, seine Hände, die ihre Schulter hielten. Seine Finger waren blutrot.
Cerise lächelte ihn an. »Hey.«
»Hey.«
Ihre Finger streichelten seine Wange. »Haben wir dich wieder?«
»Ich war nie weg.«
Jetzt bemerkte er auch ihre Familie. Alle umstanden ihn in einem unregelmäßigen Kreis und umklammerten ihre Armbrüste und Gewehre. Das Feld war mit Leichen übersät. Ihm waren die Opfer ausgegangen.
Der Druck in ihm ließ nach. Dennoch benötigte er mehr Blut und mehr Feinde, um die hitzige Anspannung seiner Muskeln zu lösen, doch Cerise brauchte ihn, also musste fürs Erste genügen, was er heute getan hatte.
»Ich werde mir jetzt Lagar vorknöpfen«, sagte sie. »Willst du zusehen?«
Er ließ sie los und nickte.
Cerise betrat die Veranda. Die Sonne glitzerte auf dem Schwert in ihrer Hand.
William setzte sich ins Gras.
Richard nahm auf der einen, Kaldar auf der anderen Seite neben ihm Platz.
»Murid zielt mit ihrem Gewehr auf Ihren Kopf. Wenn Sie sich einmischen, verspritzt sie Ihr Hirn über die hübschen Pflänzchen hier«, sagte Kaldar. »Ich finde, das sollten Sie wissen.«
»Ja«, nickte William. Sein Körper kühlte sich allmählich ab. Er fühlte sich ausgelaugt. Diese Narren. Das war Cerises Kampf. Wenn er sich einmischte, würde sie ihm das niemals verzeihen.
Falls Cerise wankte, würde er sie sterben sehen. Bei dem Gedanken heulte die Wildheit in ihm auf, doch niemand stellte sich zwischen eine Wölfin und ihre Beute.
»Wie oft kriegen Sie so was hin?« Richard deutete auf das Leichenfeld.
»Nicht oft.«
»Es ist vorbei, Lagar«, rief Cerise. »Komm raus. Bringen wir es zu Ende.«
Stille senkte sich über die Lichtung.
Dann schlug die Fliegendrahttür. Ein Mann trat ins Sonnenlicht hinaus. Er trug einen blauen, bis zu den Knien reichenden Mantel. Der linke Ärmel hing in Fetzen. Lagar schüttelte den anderen Ärmel ab, bis ihm der Mantel um die Taille hing. Dann schwang er sein Schwert. Muskelstränge wälzten sich über Brust und Arme.
Was mochte sie in ihm sehen? Er war groß, gut gebaut. Sah ganz passabel aus. Helles Haar, blaue Augen. Obwohl sie Feinde waren, hatte er Cerise zum Tanzen aufgefordert. War er charmant? Wusste er, was man sagen musste?
Sie schritten auf und ab, wichen einander aus, wahrten Distanz. Dann straffte sich Lagar. Seine Armmuskeln traten hervor. »Wieso sind wir nie zusammengekommen, Cerise?«
Sie wirkte schmächtig gegen ihn und bot daher ein kleineres Ziel. Und sie war schnell, doch nicht so stark wie Lagar. Er würde sie schaffen, und sie hatte nicht das Gewicht, um sich dagegen zu wehren.
»Weiß nicht, Lagar. Vielleicht hat es was damit zu tun, dass du meine Verwandtschaft tötest und meine Eltern verschleppt hast.«
Lagar hielt inne. Cerise ebenfalls.
In einem grellweißen Sturzbach brach Lagars
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