Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
beobachtete das Wasser wie ein Falke.
Da pflügte Zentimeter unter der Wasseroberfläche ein riesiger, plumper Kopf durch den Fluss, gefolgt von einem gewundenen Schlangenleib. William hielt die Luft an. Das Ding kam näher und näher, unfassbar lang, vollkommen lautlos, und so riesig, dass es sich geradezu unwirklich ausnahm. Eine flache Flosse schnitt durchs Wasser, die Sonne glitzerte auf der braunen, mit gelben Flecken gesprenkelten Haut, dann war das Geschöpf verschwunden.
Vier, fünf Meter. Mindestens. Wenn nicht mehr.
»Ein Schlammaal«, sagte Cerise ganz leise.
Mit einem Nicken wies William auf die Stange. Doch Cerise schüttelte den Kopf.
Das Boot trieb stromabwärts auf das rechte Ufer zu. Dann schleifte der Boden über Morast. Sie saßen fest. William hob die Stange, um sie abzustoßen.
In diesem Moment krachte der Aal mit einem dumpfen Schlag gegen die Bootswand. Das Gefährt machte einen Satz. William sprang ans Ufer. Als seine Füße den Morast berührten, gab dieser nach, und er sank bis zur Hüfte ein.
Der Aal streckte den plumpen Kopf aus dem Wasser und zischte, in dem schwarzen Maul blitzte ein Wald nadelspitzer Zähne auf. Das Biest stürzte sich aufs feste Land und krallte seine Stummelpratzen in den Schlamm. Das verdammte Ding besaß Beine. Scheiß Gegend. Scheiß Fisch.
William drehte die Stange um und rammte sie in das Albtraummaul. Sofort schlossen sich Zähne um das Holz und rissen ihm die Stange aus der Hand. Runde Fischaugen fixierten ihn, ausdruckslos und stumpfsinnig.
Er zog ein Messer aus der Jacke.
Der Aal wich zurück. Ein hellrotes Mal prangte auf seiner Stirn: ein purpurroter Schädel mit zwei klaffenden schwarzen Kreisen als Augen.
William knurrte.
Der Aal sprang.
Stahl blitzte auf, grub sich tief in die rechte Augenhöhle des Aals und fuhr wieder zurück. Der milchige Schleim des Fischauges trat aus, die goldene Iris glänzte wie eine kleine Münze auf Baumwolle.
Der Aal zuckte, sein riesenhafter Leib wirbelte herum. Dann stürzte sich der Fisch in den Fluss und sauste von dannen.
Die Landstreicherin seufzte und wischte ihre Klinge am Ärmel ab. »Ein einziges Sumpfloch im Umkreis von zwanzig Metern, und Sie tappen mitten rein. Dazu braucht man echte Begabung. Wollen Sie mir das Leben schwer machen, Lord Bill?«
Lord Bill ?
»Ich heiße William. Und Sie haben mir meine Beute gestohlen.« Er stemmte die Hände in den Morast und versuchte freizukommen, aber der Boden gab unter ihm nach. Wenn sie ihm von einem Ohr zum anderen die Kehle aufschlitzen wollte, würde er jetzt nicht viel dagegen unternehmen können.
»Klar, habe ich. Sie waren drauf und dran, den großen, bösen Fisch in kleine Stücke zu zerlegen.« Mit der Linken griff Cerise in eine Weide und beugte sich zu ihm vor. Er packte ihre Finger. Sie ächzte und zog ihn raus.
Ganz schön stark für ein Weib. Und schnell. Selten hatte er jemanden so rasch zustechen sehen.
Cerise sah ihn an. »Sie sehen entzückend aus.«
Schwarzer, zäher Schlamm besudelte seine Hosen und erfüllte die Luft mit dem Gestank von Fäulnis. Na toll. Und er hatte nicht mal den Fisch erlegt.
»Das ist Torf«, sagte sie. »Das wäscht sich raus. Der Aal lässt uns ein paar Minuten in Ruhe. Wenn Sie sich also säubern wollen, ist jetzt die passende Gelegenheit dazu.«
William zog die Stiefel aus, kippte eine halbe Gallone Modder auf die Uferböschung und watete in die Strömung. Der ölige Torf ging mühelos ab und hinterließ nicht mal Flecken.
Teufel auch, was für ein Schwerthieb, schnell, punktgenau. Professionell. Der Spiegel hatte keine weiblichen Agenten im Moor. Vielleicht gehörte sie zur Hand. Zu Spiders Leuten. William ging Spiders bekannte Handlanger durch und verglich sie im Geist mit der Frau. Kein Treffer. Entweder der Spiegel wusste nichts von ihr, oder man hatte versäumt, ihm etwas zu sagen.
William hatte das dringende Bedürfnis, sich umzudrehen, sie zu packen, unter Wasser zu tauchen und ihr den Dreck aus dem Gesicht zu waschen, um endlich zu sehen, wie sie wirklich aussah.
Aber er war ein Blaublütiger. Er durfte sich nicht aus der Deckung wagen.
William stieg aus dem Fluss. Die Landstreicherin begrüßte ihn mit breitem Grinsen. »Na, wie gefällt Ihnen der Ausflug in den Sumpf bisher?«
Klugscheißerin. Er zog seine Stiefel an. »Von gebrandmarkten Fischen mit Beinen stand jedenfalls nichts im Reiseführer. Ich will mein Geld zurück.«
Sie blinzelte. »Was meinen Sie mit gebrandmarkt?«
»Zwischen
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