Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
hörte dem auf die Duschfliesen prasselnden Wasser zu. Ihr ganzer Körper summte vor Anspannung, als hätte sie soeben einen Kampf auf Leben und Tod bestanden.
Sein völlig geschockter Gesichtsausdruck, als er sie, fassungslos schweigend, angestarrt hatte, war wirklich unbezahlbar gewesen. Fast hätte sie laut aufgelacht. Doch dann war William wild geworden. Etwas Ungestümes hatte sie aus seinen Augen angestarrt, etwas Verrücktes, Gewalttätiges, Lüsternes. Eine Sekunde lang hatte sie geglaubt, sie würde ihn abwehren müssen, doch dann war es verschwunden, als hätten sich seine inneren Rollläden geschlossen.
Sie hätte ihn am liebsten umgehauen – wenn er sie noch einmal Königin der Landstreicher oder so genannt hätte, wäre sie ihm an die Gurgel gefahren. Aber … das hatte sie nicht erwartet.
Sie hatte damit gerechnet, dass er sie anstarren, vielleicht sogar mit ihr flirten würde. Stattdessen war er, wie man im Broken sagte, in zwei Sekunden von null auf hundert gewesen. So etwas hatte sie noch bei keinem Mann erlebt.
Und ihr war auch noch kein Mann begegnet, der sie so angesehen hatte. Als sei sie unwiderstehlich.
Cerise wühlte in ihrem Beutel, fischte ein Sweatshirt heraus und zog es an. Er hatte sich rasch zusammengerissen. Was für ihn sprach. Andererseits musste sie das Schicksal ja nicht herausfordern.
Der Adrenalinstrom in ihrem Innern stockte. Wärme überflutete sie, gefolgt von windelweicher Erschlaffung. Sieh mal einer an, da hätte sich Lord Bill doch fast von einem Moormädel den Kopf verdrehen lassen. Sie grinste. Die Königin der Landstreicher war doch für die eine oder andere Überraschung gut . Allerdings traf »den Kopf verdrehen« den Nagel nicht mal ansatzweise. Er hatte sie vielmehr wie ein Wahnsinniger angeglotzt.
Eigentlich hätte ihr das egal sein müssen. Soweit sie wusste, sah William jede Frau so an. Na ja, vielleicht nicht ganz so, schließlich war er irgendwie erwachsen geworden, ohne vorher umgebracht worden zu sein.
Aber es war ihr keineswegs egal. Bei allem, was er tat, spürte sie einen scharfen Hauch von Gefährlichkeit, und sie fühlte sich davon angezogen wie die Motte vom Licht. Sie dachte an den Kampf. Da hatte er sie einfach weggestoßen. Nicht besonders hart, aber sie hatte nicht sonderlich fest auf den Beinen gestanden und war schwer auf den Rücken gestürzt, sodass ihr die Luft wegblieb. Ungefähr eine halbe Minute hatte sie benommen dagelegen und versucht, wieder zu sich zu kommen, während sie hörte, wie William den Freak von der Hand abdrängte.
Klar, er hatte sie mit den allerbesten Absichten auf die Bretter geschickt, aber sie hätte ihm dafür ein härteres Ding verpassen sollen. Nur gut, dass keiner da war, der das Ganze mitbekommen hatte, sonst wäre sie jetzt die Lachnummer im ganzen Moor. Cerise verzog das Gesicht. Sie hätte ihm nur zu gerne die Rechte aufs Kinn gepflanzt, aber jemandem einen Kinnhaken zu verpassen garantierte eine aufgesprungene Hand. Und eine der ersten Lektionen, die ihre Großmutter ihr mit auf den Weg gegeben hatte, lautete: Pass auf deine Hände auf. Die brauchst du nämlich für dein Schwert.
Als sie schließlich schwankend hochgekommen war, hatte sich die braune Monstrosität etwa fünfzig Meter weit entfernt befunden. William war mit einem Messer auf das riesenhafte, gepanzerte und krallenbewehrte Biest losgegangen. Sie hätte ihn wohl für irre oder dämlich gehalten, wenn sie nicht gesehen hätte, dass der Freak geblutet hatte wie ein angestochenes Schwein. Fast wäre sie auf seiner Blutspur ausgerutscht. Nur noch wenige Minuten, und William hätte ihn ausgeblutet gehabt.
Das Wasser in der Dusche hörte zu prasseln auf.
Cerise verschwand schnell in der Eingangshalle, ehe William herauskam und sah, dass sie die Badezimmertür anstarrte.
Links ging’s zur Vorratskammer. Auf der Suche nach Fleisch durchsuchte sie die Konserven.
Cerise wusste, dass sie gut aussah. Wer sie war und was sie draufhatte, galt viel im Moor. Sie war Cerise Mar. Sie hatte die Ratten als Rückendeckung, und ihr Schwert war weithin berühmt. Wenn man in eine Familie einheiraten wollte, gab es besseres Material, und so mancher Mann hatte ein Problem damit, wie gekonnt sie ihre Klinge handhabte, trotzdem liefen da draußen genug Kerle herum, die alles tun würden, um mit ihr gehen zu können. Wenn sie wollte, hatte sie freie Auswahl, und eine Zeit lang hatte sie gewollt, bis sie sich in ihren Pflichten als Kassenwart der Familie verheddert
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